Strasbourg am 6. April – Ein Tanz zwischen den Platten von Esplanade

„Das ganze Geheimnis liegt darin, 

den Feind zu verwirren, 

sodass er unsere wahre Absicht nicht ergründen kann.“

Die Kunst des Krieges – Sun Tzu

Plötzlich kreuzen sie die Gewerkschaftsdemonstration. Hunderte kampfbereite Herzen, gehüllt in schwarzem Kunststoff. Die Alten machen den Weg frei und in der Luft liegt der Geschmack von Ehrfurcht. Nachdem die Bullen den Angriff auf der Brücke John Fitzgerald Kennedy am 28.03, nur durch den großzügigen Einsatz von Tränengas abwehren konnten, hatte der Bloc für heute ein neues Schlachtfeld auserkoren. Die Brücke „del Bagno alle Rose“. Der Angriff trifft die flics völlig unvorbereitet. Noch bevor sie realisieren, was vor sich geht und weitere Uniformierte zur Unterstützung herbeirufen können, regnet es Steine, Flaschen und Pyrotechnik auf die am Ende der Brücke schräg gestellten Wagen. Verzweifelte Versuche der überraschten Bullen, die Menge mit Tränengas zurückzudrängen, werden mit dem Ruf „on y va“ zerschmettert und innerhalb von Minuten ist die Stellung überrannt. Die Wagen ziehen sich zurück und bleiben in einiger Entfernung stehen, um ihrer ersten klaren Niederlage beizuwohnen. Von außen betrachtet bleibt kaum Zeit zum Luftholen, bevor Unterstützung eintrifft und das Ufer der Ill mit Tränengas flutet, aber für die siegreichen Wilden muss dieser Augenblick zeitlos gewesen sein. 

Nach dem Begleichen dieser offenen Rechnung, verabschiedet sich der Bloc in Richtung Krutenau. 

Dort kommt es zu weiteren Auseinandersetzungen mit der Cops und Angriffen auf Bankfilialen. Einen zweiten Vorstoß an das Ufer über die Rue de la Krutenau unterbindet die Polizei wenig später durch Tränengas und dem erstmaligen Einsatz einer GMD-Granate (Grenades à main de désencerclement) seit Beginn der Proteste gegen die Rentenreform in Strasbourg. Ein Versuch der Sicherheitsbehörden, den Bloc beim Zurückweichen zu kesseln, schlägt fehl und der cortège sauvage bahnt sich seinen Weg durch die kleinen Straßen, Richtung Universitätsgelände. Die Polizei agiert schwerfällig. Es ist ein Kinderspiel dem Bloc zu folgen und vor ihm an den Kreuzungen zu sein, an denen die Helden ihrer eigenen Geschichte Barrikaden bauen und ihren Frust an ausgewählten Symbolen des Kapitalismus und des Staates freien Lauf lassen. Die Polizei besetzt den Platz im Herzen des gleichnamigen Stadtteils Esplanade. Von der Avenue du Général de Gaulle geht es Richtung Campus, nur um diesen am nördlichen Ende zu verlassen und in die angrenzenden Plattenbausiedlungen abzutauchen. Hier mag niemand die Bullen. Die Cops folgen der wilden Demonstration durch die Häuserschluchten der tristen Betonbauten, begleitet von Anwohnern aller Altersklassen, die keine Gelegenheit auslassen, sich über das träge Hin und Her Koordinieren der Uniformierten lustig zu machen oder diese unverhohlen und abgrundtiefe Abneigung ihnen gegenüber wissen zu lassen. An den Fenstern einer Seniorenresidenz stehen die alten Herren und Damen, rauchen und schwingen rote Pullover. Es ist deutlich sichtbar, dass die Bullen sich hier unwohl fühlen. 

Das nächste strategische Manöver vollführt der Bloc am Parc de la Citadelle, in den Überresten der ehemaligen Befestigungsanlage Strasbourgs. Hinter den von Gras und Geäst überwucherten Mauern, tauchen sie ab, nutzen die Unterführungen und Wege hinauf auf die Anlage und verschließen die alten Eisentore hinter sich, so dass den Bullen am Ende keine andere Möglichkeit bleibt, als weite Teile der Parkanlage in beißenden Nebel zu hüllen. Die vereinzelten Rufe, dass auch Kinder anwesend seien, lassen die Behelmten kalt. Später wird die Préfecture de la Région Grand Est et du Bas-Rhin in einem öffentlichen Brief verkünden, dass keine Demonstrationsteilnehmer*innen am heutigen Tag verletzt wurden. Die Kinder am Rande des Geschehens, denen ich Kochsalzlösung für ihre jungen, tränenden Augen gegeben habe, freut dieser Umstand bestimmt. Noch ein paar kleinere  Schleichwege und der Bloc verschwindet auf dem nahe gelegenen Campus. Gegenüber dem Place d’Athènes steht eine kleine nutzlose Einheit ratlos herum. Ohne erkennbaren Anlass reißen sie plötzlich einen Mann zu Boden und beginnen mit der Verhaftung. Sofort bildet sich eine kleiner Kreis von Menschen um die zu diesem Zeitpunkt noch hämisch süffisant grinsenden Bullen. Das ekelhafte Grinsen flieht aus der Visage, als eine Straßenbahn anhält und die Menge um sie herum von zehn auf über fünfzig Personen anwächst. Schnell wird Verstärkung gefordert und mehrere Kastenwagen tauchen auf, um die Menge mit Schildern und Knüppel im Anschlag zurückzudrängen. „C’èst la France” ruft eine ältere Frau neben mir. Noch bis zum Einbruch der Dunkelheit wird die Polizei wahllos junge Menschen rund um das Unigelände und in den angrenzenden Stadtteilen kontrollieren, festsetzen und verhaften.

Der 06. April markiert mit dem Sturm auf die Brücke „del Bagno alle Rose“ und ihrer Eroberung einen entscheidenden Punkt in der jungen militanten Bewegung von Strasbourg. 

Wir können siegen und werden es wieder tun.

Dieser Bericht über das Geschehen wurde Bonustracks zugespielt