Ghassan Salhab
Ich versuche, eine Wolke zu beschreiben
mit einem Reh zu vergleichen
Ich kann es nicht.
Mit der Zeit werden die
die guten Lügen knapp
Yannis Ritsos
Was kann man noch sagen, was nicht schon gesagt, wiederholt, geschrieben und nochmals verfasst wurde? Woraus soll man noch schöpfen? Jedes kleine Detail unseres Alltags, jede institutionelle oder pseudo-institutionelle Struktur, jede traditionelle oder gewohnheitsmäßige Struktur, egal in welchem Maßstab, wurde mehr als einmal zerlegt, analysiert und kontextualisiert. Die verschiedenen Machtsysteme, die uns “hier” in inmitten dieses irrwitzigen politisch-clan-finanziellen Trommelfeuers (man weiß wirklich nicht mehr, wie man es noch nennen soll) wie auch überall sonst auf der Welt umklammert und gefangen halten, uns kalibrieren und in Ketten legen, scheinen mehr denn je unantastbar zu sein.
Kolosse auf tönernen Füßen, gewiss, aber Kolosse, die allzeit bereit sind, ohne zu zögern, alles und jeden zu zermalmen. Wiederholen wir uns das noch einmal und suchen nach einem neuen Ansatz, einer neuen Herangehensweise, die (sie) dauerhaft erschüttern kann…
Aber wenn die Verzweiflung sowohl individuell als auch kollektiv immer weiter zunimmt, wenn sie nicht aufhört, ihren Namen zu schreien, wenn sie sich mehr denn je in den Abgrund stürzt, was bleibt dann anderes übrig als Gegenschläge, egal ob sie aus der Hüfte kommen, spektakulär sind oder ganz im Gegenteil, unmerklich, fast unsichtbar, d. h. fernab der Medien und der sozialen Netzwerke, fernab jeder vorübergehenden Resonanz stattfinden?
Was bleibt, wenn nicht die Taten ohne Zukunft? Was bleibt, wenn die Zukunft nichts mehr verspricht, wenn die verschiedenen Mächte realistisch, pragmatisch und fatalistisch agieren, wobei sie sich natürlich von jeder Verantwortung freisprechen und schamlos alle möglichen Kosten von denjenigen tragen lassen, die bereits einen hohen Preis zahlen? Was bleibt da noch übrig, wenn man feststellt, dass diese Krise für sie ein Segen ist, dass nichts den ungezügelten Gewinn- und Profitstreben Einhalt gebietet (immer auf der Suche nach neuen Gebieten, aus denen sie schöpfen und pumpen können, und sei es auch nur hypothetisch), dass die Gewinnmargen immer schwindelerregender, immer absurder werden?
Gefangen in dieser höllischen Falle, Tag und Nacht, in der man gegen alle Widerstände durchhalten muss, obwohl mehr als ein Grundnahrungsmittel knapp ist, man sich nicht selbst versorgen kann, keine normale Energieversorgung hat und die Inflation mehr als galoppierend ist. Gefangen in der unerbittlichen Falle unseres konsumorientierten Lebensstils, selbst wenn es auf weniger als nichts hinausläuft. Wie wir wissen, begnügen sich die Industrien und Konzerne, die unsere Welt seit nunmehr fast drei Jahrhunderten gestalten, nicht damit, Gegenstände und Waren zu schaffen, vom einfachsten Kleidungsstück bis hin zu den ausgeklügeltsten Maschinen, sondern sie erzeugen damit auch unser Verhalten und unsere Abhängigkeiten, und zwar auf fast allen Ebenen, unabhängig von unserem “sozialen Status”. Unsere Körper, unser Geist und unser Wesen sind davon zutiefst betroffen. Selbst, ja, selbst wenn uns fast nichts mehr bleibt, gedeihen die sogenannten Schattenwirtschaften, diese scheinbar härteren (Elend ist keine Sache der Höflichkeit) und gewalttätigeren Versionen als die offizielle Wirtschaft, die sehr glücklich über diese perfekte Rollen- und Aufgabenverteilung ist. Jeder soll an seinem Platz bleiben und es soll vor allem nicht überkochen. Solange wir nicht versuchen, offen mit dieser Lebensweise radikal zu brechen und sie grundlegend zu ändern, können wir nicht davon ausgehen, dass wir die Wiederholung dieser Zyklen von einer Krise zur nächsten dauerhaft stoppen können. Lange vor dem endgültigen Triumph der Kommerzialisierung der Welt haben mehr als ein lebhafter Widerstand, mehr als eine Revolte, mehr als ein Werk vergeblich versucht, uns vor dieser tödlichen Spirale zu warnen. Unsere Wüsten sind riesige Friedhöfe.
Es ist uns heute schlicht unmöglich, auch nur ein Ohr denjenigen zu leihen, die glauben oder uns noch glauben machen wollen, dass es darum geht, das Ruder “herumzureißen”, das politische Feld zu säubern, bereits bestehende “gerechtere” Gesetze anzuwenden (als ob sie “an sich” wären, als ob es noch um “Schrift” ginge, und sei sie auch noch so säkular), dass es im Wesentlichen um Korruption, um Wildwuchs oder auch um den Ausgleich der Konten oder Ähnliches geht. Das “kleinere Übel” ist nicht mehr möglich, wir haben dieses Stadium weit überschritten. Die Krisen des Kapitalismus, auch in unserem missglückten heimischen Modell, sind diesem System völlig inhärent, es nährt sie und ernährt sich von ihnen. Ein und derselbe Körper, der schluckt, kaut, zermalmt und ausscheidet. Unabhängig von seinen Varianten und Farben kann der Kapitalismus nur das hervorbringen, was er immer wieder hervorbringt, indem er alle möglichen technischen, technologischen, wieder und wieder regulierten Werkzeuge und Mechanismen einsetzt, die das Bild nach Belieben verkomplizieren. Ob mehr oder weniger reguliert, “unter Kontrolle” (die bei jedem großen Unwetter wieder hervorgezaubert wird) oder im “freien Lauf”, unser Lebensstil hält uns immer wieder in seinen Netzen gefangen. Und es ist genauso unmöglich zu glauben, dass man “ihm” noch die guten alten Rezepte der “Umkehr” entgegensetzen kann, so wie sie schon so oft mit den bekannten fatalen Ergebnissen angewandt wurden, so begeisternd und berauschend die ersten Tage einer Kommunion, dieses so kostbaren Tanzes, auch sein mögen. Ebenso unmöglich ist es, die Ausübung von Autorität zu missverstehen, egal wie revolutionär, kurzlebig und reduziert sie auch sein mag. Unsere Tage und unsere Fehler sind nun gezählt.
Lassen Sie uns eines klarstellen: Es geht nicht darum, eine Rückkehr in irgendein goldenes Zeitalter vor der industriellen Revolution zu befürworten oder irgendeine Epoche in der überfrachteten Geschichte unserer Spezies zu romantisieren. Aber was dann, welche Wege, welche Praktiken, ob neu oder alt, (sich) vorschlagen, wie man anders leben, bauen, sein kann in dieser Welt, die in ihrer unaufhaltsamen Flucht nach vorn kein Ende nimmt? Eine klare Abkehr von der unmittelbaren Herrschaft, von den vorherrschenden Strukturen unserer zeitgenössischen Gesellschaften, vom Nationalstaat, von den durch Privateigentum definierten Volkswirtschaften und allen Konsequenzen, die wir nicht länger ignorieren können, empfehlen?
Wiederholen wir immer und immer wieder den leidenschaftlichen Aufruf zu einem echten Zusammenschluss zwischen bestehenden oder entstehenden Gemeinschaften, überall, in allen Bereichen, zum Bau und Wiederaufbau von Brücken und Stegen zwischen ihnen? Immer wieder wiederholen, dass es definitiv nicht darum geht, zwischen den Bestrebungen des Einzelnen und denen des Kollektivs zu wählen, dass das eine nicht ohne das andere möglich ist, dass das eine ohne das andere genau unsere katastrophale Welt ist, dass jedes Wesen Einsamkeit und Gemeinschaft ist, dass jede Gemeinschaft zugleich Aufbau und Zerstörung ist? Wieder und wieder wiederholen, dass die alternative, die imaginäre Welt angesichts des Spotts und der Interessen der Herrschenden und Zyniker extrem verwundbar ist? Wiederholen, dass wir den offiziellen Erzählungen unserer Spezies, wie auch immer sie aussehen mögen, unermüdlich entgegentreten müssen, daran erinnern, dass vor der Erfindung der Landwirtschaft, die uns angeblich zum Aufbau moderner Nationalstaaten geführt hat, Menschen jahrhundertelang überall auf den fünf Kontinenten zahlreiche und vielfältige soziale und politische Möglichkeiten ausprobiert haben?
Und wenn es tatsächlich zu spät ist, weil die ganze Welt mit Volldampf gegen die Wand fährt, die sie selbst lange und geschickt errichtet hat, könnte man sich vielleicht sagen, dass man, verloren ist verloren, versuchen könnte, diese letzte Strecke anders zu leben, alle eitle Macht loszulassen, jenseits von Gut und Böse, ja, sogar jenseits des gleichnamigen Buches. Es gibt keine Orientierungshilfe. Sich diese unwahrscheinliche letzte Utopie vorzunehmen.
Dieser Text des vom Übersetzer sehr geschätzten Ghassan Salhab erschien im französischsprachigen Original am 9. Januar 2023 auf Lundi Matin. Ghassan Salhab ist ein libanesischer Regisseur und Autor, er lebt in Beirut.