Giorgio Agamben
“Stalin und seine Untergebenen lügen immer, zu jeder Zeit, unter allen Umständen; und weil sie immer lügen, wissen sie nicht einmal mehr, dass sie lügen. Und wenn alle lügen, lügt keiner mehr”. Ich möchte über diesen Satz von Boris Souvarine aus seinem Buch über Stalin nachdenken, weil er uns sehr betrifft. Lügen seitens der Regierungen und ihrer Medien und Kollaborateure hat es schon immer gegeben, aber entscheidend ist meiner Meinung nach die Überlegung, die Souvarine seiner Diagnose hinzufügt: Lügen können ein so extremes Ausmaß erreichen, dass die Lügner nicht mehr wissen, dass sie lügen, und wenn alle lügen, lügt keiner mehr.
Das ist es, was wir in den letzten drei Jahren erlebt haben und immer noch erleben, und das ist es, was die derzeitige Situation in Italien nicht nur bedenklich und bedrückend macht, sondern auch derart, dass sie außer Kontrolle geraten und in einer noch nie dagewesenen Katastrophe enden kann. In der Tat ist nichts gefährlicher als ein Lügner, der nicht mehr weiß, dass er lügt, weil seine Handlungen jeden Bezug zur Realität verlieren. Wahrheit und Lüge, Glaube und Unglaube verschwimmen in seinem Kopf, bis sie nicht mehr zu unterscheiden sind. So haben in den Covid-Jahren Minister, Ärzte und Experten, die gelogen haben, ihre Lügen schließlich so sehr geglaubt, dass sie durch den Verlust jeglichen Bewusstseins für die Wahrheit in der Lage waren, die elementarsten Grundsätze der Menschlichkeit ohne Skrupel mit Füßen zu treten. Eine Gesellschaft, die jegliches Bewusstsein für die Schwelle verliert, die das Wahre vom Falschen trennt, ist buchstäblich zu allem fähig, sogar zur Selbstzerstörung. Genau das geschieht mit dem Krieg in der Ukraine, über den nur noch Unwahrheiten verbreitet werden. Die Gefahr besteht darin, dass Regierungen, die lügen und nicht mehr wissen, dass sie lügen, einen Atomkrieg auslösen können, den sie glaubten, nicht zu wollen, von dem sie aber aufgrund ihrer eigenen Lügen nun annehmen müssen, dass sie ihn wollen.
Erschienen im italienischen Original am 22. Februar 2023 auf Quodlibet.