Giorgio Agamben
Meine Beziehung zu Armenien – vor allem zur armenischen Sprache – hat etwas ebenso Intimes wie Legendäres. Vor vielen Jahren sagte mir Gianfranco Contini, ein Philologe, den ich sehr schätzte und schätze, dass der Nachname Agamben mit Sicherheit armenischen Ursprungs ist. Der armenische Nachname Aganbeghyan sei zu Agamben verkürzt worden, so wie der italienische Nachname Gianni sich vom armenischen Gianighyan ableitet. Dies wurde mir später von einem Mönch des Klosters auf der Isola degli Armeni in Venedig bestätigt, nicht ohne einen Anflug von Spott. In meinen Familienüberlieferungen fand sich jedoch keine Spur eines solchen Ursprungs, und der Name – den wir als einzige in Italien tragen – wurde auf andere und phantastischere Weise erklärt, vielleicht nur erfunden, um den exotischen Ursprung zu verschleiern.
Meine Identität ist also zweigeteilt, aber diese Zerrissenheit scheint mir so etwas wie einen wertvollen Hinweis zu enthalten. Bin ich Armenier, bin ich Italiener? Und was bedeutet es, ein Italiener armenischer Herkunft zu sein? Je mehr man sich an eine Sprache und eine Kultur klammert – so wie ich mich an das Italienische klammere -, desto mehr braucht man einen Ausweg. Vielleicht ist das Armenische dieser Ausweg für mich. Woher und wohin? Nicht vom Italienischen zu einer anderen, ursprünglicheren Identität oder, schlimmer noch, zu einer universellen Identität. Sondern zu jenem ungedachten Anderswo, das im Herzen jeder Sprache und jeder Identität liegt und zu dem alle Identitäten und alle Sprachen immer schon unterwegs waren. Italienisch zu sein, armenisch zu sein, ist kein Ursprung, von dem man ausgeht, es ist ein Ziel, das wir vielleicht nie erreichen, zu dem es sich aber lohnt, aufzubrechen. Und in jedem Fall ist es, wie der Dichter über Odysseus und seine Heimatinsel schrieb, das Ziel, das dir die Reise geschenkt hat: “Ithaka hat dir die schöne Reise geschenkt, / Ohne sie würdest du dich nicht auf den Weg machen, / nichts anderes hat sie dir jetzt zu geben”.
Veröffentlicht am 30. November 2023 auf Quodlibet, ins Deutsche übertragen von Bonustracks.