Giorgio Agamben
Man spricht vom Ende Europas, wenn nicht gar des Westens, als dem Ereignis, das die Epoche, in der wir leben, dramatisch kennzeichnet. Aber wenn es ein Land in Europa gibt, in dem bestimmte Daten es ermöglichen, das Datum des Endes mit nüchterner Präzision zu bestimmen, dann ist es Italien. Es handelt sich dabei um demografische Daten. Jeder weiß, dass unser Land seit Jahrzehnten einen demografischen Rückgang erlebt, der es zum europäischen Land mit der niedrigsten Geburtenrate macht. Aber nur wenige wissen, dass dies bedeutet, dass die Fortsetzung dieses Rückgangs das italienische Volk in nur drei Generationen zum Aussterben bringen würde.
Es ist zumindest eigenartig, dass wir uns weiterhin Gedanken über wirtschaftliche, politische und kulturelle Probleme machen, ohne diese Tatsache zu berücksichtigen, die sie alle hinfällig macht. So wie es offensichtlich nicht leicht ist, sich den eigenen Tod vorzustellen, will man sich auch nicht vorstellen, dass es keine Italiener mehr geben wird. Ich spreche nicht von den Bürgern des italienischen Staates, den es vor etwas mehr als einem Jahrhundert noch nicht gab und dessen Verschwinden mich nicht sonderlich beunruhigt. Mich beunruhigt vielmehr die durchaus reale Möglichkeit, dass es niemanden mehr geben wird, der Italienisch spricht, dass die italienische Sprache zu einer toten Sprache wird. Das heißt, dass niemand mehr Dantes Dichtung als lebendige Sprache lesen kann, wie Primo Levi sie in Auschwitz seinem Kameraden Pikolo vorgelesen hat. Das macht mich unendlich viel trauriger als das Verschwinden der italienischen Republik, die ja alles getan hat, um dieses Ende herbeizuführen. Es werden vielleicht die wunderbaren Städte bleiben, es werden vielleicht die Kunstwerke bleiben: es wird nicht mehr das ‘bel paese là dove ‘l sì suona’ geben.
Veröffentlicht im italienischen Original am 11. Dezember 2023, übersetzt von Bonustracks.