Kommuniqué:
Am 4. Mai, von 20.15 bis 21.00 Uhr, habe ich in Solidarität mit den Genossen, die in der Nacht vom 3. auf den 4. Mai in Genua verhaftet und dann in den Gefängnissen von Marassi und Pontedecimo* eingesperrt wurden, eine Runde Infight in der Zelle veranstaltet.
Heute ist der Todestag von Bobby Sands im Jahr 1981, einem irischen Revolutionär, der die Würde des Kampfes in den Gefängnissen lehrte. Es ist richtig, an diesen Jahrestag zu erinnern.
Ich widme diese kleine Geste auch allen Genossen, die in den letzten Wochen von Repressionen betroffen waren, im Hinblick auf die Solidarität, die während der Mobilisierung für Alfredo Cospito und gegen 41bis auf der Straße gezeigt wurde. Ich grüße Euch brüderlich mit einer geballten Faust!
Ich nutze hier die Gelegenheit, um Alfredo, Anna und Juan meine ganze Verbundenheit angesichts ihrer jüngsten hohen Strafen auszudrücken.
Der Knast ist nicht das Ende des Kampfes und der Solidarität, sondern seine Bestärkung und Fortführung.
05. Mai 2024
Sanremo-Gefängnis
Luca Dolce bekannt als Stecco
* Soweit ich weiß, ist das Gefängnis von Pontedecimo ein Ort für besonders bewachte Gefangene.
Triest: Der Tod eines Ausgestoßenen
Vor einigen Wochen erhielt ich die Nachricht vom Tod eines alten Jugendfreundes, den ich seit Jahren nicht mehr gesehen und von dem ich auch lange Zeit nichts mehr gehört hatte.
Als ich ein Junge war, lebte er mit seiner Großmutter in einem alten Gemeindehaus in Opicina im Triester Karst, einem der Häuser, die in den 1950er Jahren für istrische Exilanten gebaut wurden.
Seine Eltern waren abwesend, unglücklich im Leben, er litt unter der Einsamkeit, und ich erinnere mich, wie viele in der Unwissenheit der Jüngsten ihn schikanierten, weil er der Ärmste, der Traurigste, der Einsamste war. Er reagierte auf seine Weise auf diesen erhobenen Zeigefinger, auf dieses Urteil, auf diese mangelnde Zuneigung, die er erhielt.
Ich erinnere mich gut an sein oft stirnrunzelndes Gesicht, aber wenn man ihn freundschaftlich aufnahm, wie man es unter Kindern tut, schenkte er einem ein breites Lächeln, das alle Ungerechtigkeiten beiseite schob, so wie man es zwischen unbeschwerten Jungen und Mädchen tun sollte, die in dieser Welt aufwachsen, ohne dass ihnen das Geld von Mama und Papa in den Arsch geblasen wird. Und in dieser Umgebung befand sich keiner von uns.
Ich weiß nichts über sein Leben in den letzten zwanzig Jahren, aber ich hielt ihn immer für einen guten, aber unglücklichen Jungen.
Es ist die Art und Weise, wie er gestorben ist, die mich dazu bringt, diese Worte zu schreiben, mit Wut im Bauch.
Die Freunde, die mir die traurige Nachricht überbrachten, sagten mir, er sei gestorben, weil er einen Unfall mit dem Heizkessel in seiner Wohnung hatte. Ihm war das Gas abgestellt worden, weil er seine Rechnungen nicht bezahlen konnte, und so hatte er eine illegale Verbindung hergestellt, um im vergangenen Winter zu kochen und zu heizen.
Sie erzählen mir auch, dass kaum jemand bei seiner Beerdigung war, noch nicht einmal so viele, wie man an den Fingern einer Hand abzählen kann.
Wer war Jan? Wer wird sich an ihn erinnern?
Er wird nicht in den Listen der weißen Toten bei der Arbeit auftauchen, auch nicht in denen derjenigen, die an der Front im Krieg sterben, nur um das Gas zu bekommen, von dem wir für zwei wesentliche Bedürfnisse abhängig geworden sind: Kochen und Heizen. Für Jan gibt es keine Liste, auf die er gesetzt werden könnte.
Wer ist der Bürokrat – oder der Algorithmus – der ihm den Strom abgestellt hat, weil er säumig war?
Gibt es irgendjemanden, der die Gewalt verstanden hat, die in dieser Gesellschaft von Arm und Reich von oben herab ausgeübt wird?
Als Anarchist erinnere ich mich nicht an diejenigen, die diese Welt verlassen, nachdem sie Ignoranz, Egoismus und Arroganz zu ihren eigenen Zwecken verbreitet und andere unter ihren Absatz gezwungen haben, und trauere auch nicht um sie. Ich will mich an einen einsamen, vergessenen Mann erinnern, der keine Spur in den Geschichtsbüchern hinterlässt, aber die von vielen und unzähligen Ausgeschlossenen verkörpert, von denen die Geschichte voll ist.
Ich erinnere mich an ihn, weil er der Geringste unter den Geringsten war, weil eine Geschichte wie diese diejenigen vereinen sollte, die das gleiche Schicksal riskieren, die das gleiche Leid empfinden, damit die heutige Ignoranz überwunden und in ein Bewusstsein umgewandelt wird, das dazu führt, die herzlosen Täter zu identifizieren, die im Überfluss und in Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Nachbarn leben.
Heute werden Kriegstrompeten geblasen, die zu den Waffen rufen, wo sich in Wirklichkeit hinter der blutigen Maske des „guten“ demokratischen Europas nur die Interessen der Mächtigen und ihrer Massaker verbergen. Alles, um die Energie für die Fortführung einer giftigen, kriegerischen und in vielerlei Hinsicht schädlichen Produktion sicherzustellen, um ihre Privilegien und Interessen zu sichern.
Daher die Profite der Bosse, die Menschen wie Jan, wie uns, ausbeuten, die keine Skrupel haben, sich beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten zurückzuziehen und zu isolieren, und derweil die Gleichgültigkeit noch unter den Ausgebeuteten schlummert, muss die Klassensolidarität wieder ein Wert, ein tiefes Gefühl werden.
Verflucht seien die Manager und Vorstandsvorsitzenden von Großkonzernen wie ENI, ENEL, Endesa, ihre Militärs, die ihre Profite verteidigen, die gesamte politische Klasse, die ihre Finanzierung und ihre Strategien gutheißt und ihre zunehmend kriegstreiberische Propaganda rechtfertigt, die als verkommener Patriotismus ausgegeben wird.
Möge die Stille dieses Todes in den Herzen der Verbliebenen den rachsüchtigen Angriff auf die Türen derer vorbereiten, die in ihren Villen, in ihren Palästen das Thermometer im Winter auf 25° stehen haben, während sie sich an unserem Leben laben und uns dann belehren, wie man Gas benutzt.
Wenn sie uns einen Freund wegnehmen, gehen wir hin und klopfen an ihre Türen.
Das werde ich nicht vergessen, für mich ist das ein Mord durch die Hände der Bosse.
04. Mai 2024, Gefängnis von Sanremo
Luca Dolce bekannt als Stecco
Anmerkungen Bonustracks:
‘Stecco’ wurde im Oktober 2023 festgenommen, nachdem er es geschafft hatte, zwei Jahre der Fahndung nach ihm zu trotzen. Er sitzt derzeit eine mehrjährige Haftstrafe ab, die bürgerlichen Medien schreiben ihm eine bedeutende Rolle bei den anarchistischen Kämpfen gegen das italienische Knastsystem zu. Diese beiden Texte wurden am 10. Mai 2024 auf Il Rovescio veröffentlicht und von Bonustracks in Deutsche übersetzt.