Der unbestreitbare Austausch von Gefälligkeiten zwischen Meloni und Milei im Zusammenhang mit der Verhaftung von Leonardo Bertulazzi, ehemaliger Militanter der Roten Brigaden

Hinter der Verhaftung des ehemaligen Brigadisten Leonardo Bertulazzi, der heute 72 Jahre alt ist, steckt ein Pakt zwischen Meloni und Milei, um einen italo-argentinischen Priester, der in die Verbrechen der südamerikanischen Diktatur der 1970er Jahre verwickelt war, vor der argentinischen Justiz zu retten. Sein Name ist Franco Reverberi, mittlerweile über 80 Jahre alt, der in jungen Jahren nach Argentinien ausgewandert ist, wohin seine Familie nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Suche nach Glück gezogen war.

Der mörderische Priester, der die Folter absegnete

Auf dem neuen Kontinent landete der junge Reverberi im Priesterseminar, bevor er sein Gelübde ablegte und Pfarrer von Salto de Las Rosas wurde, einer kleinen Stadt unterhalb der Anden. Während der 24-jährige Bertulazzi 1976 Lotta Continua, eine Formation der krisengeschüttelten radikalen Linken, verließ, um sich der entstehenden Genovese-Kolonne der Roten Brigaden anzuschließen, wurde der damals 39-jährige Don Reverberi nach dem Militärputsch von General Jorge Videla Militärseelsorger, Hilfskraft der VIII. alpinen Erkundungsgruppe in San Rafael.

Im Jahr 1980 – so die argentinische Justiz – begann er, das geheime Internierungslager „La Departamental“ zu besuchen, eine der Einrichtungen, die das diktatorische Regime im Rahmen des Projekts „Condor-Plans“ nutzte. Ein Projekt zur Auslöschung der politischen Opposition gegen die Diktatur, das durch Verhaftungen, Verschwindenlassen, massenhafter Folter und Ermordung von Kämpfern der revolutionären Linken, Peronisten und Radikalen durchgeführt wurde (mindestens zweitausend getötete und dreißigtausend verschwundene Personen, die so genannten Desaparecidos). Die zwischen den (damaligen) faschistischen Diktaturen Südamerikas (Chile, Argentinien, Brasilien, Bolivien, Paraguay und Peru) vereinbarte Operation wurde von der CIA überwacht. Reverberi wurde beschuldigt, 1976 an der Entführung und anschließenden Folterung und Ermordung eines jungen Peronisten, José Guillermo Beron, beteiligt gewesen zu sein. Nach den Aussagen mehrerer Überlebender der Internierungslager der Diktatur pflegte der Priester in die Folterkammern zu kommen, um den Vernehmungsbeamten beim Vorlesen von Bibeltexten beizuwohnen und die Gefolterten aufzufordern, mit ihren Peinigern zu kollaborieren, weil dies der Wille Gottes sei. Nach dem Ende der Diktatur gelang es Reverberi, sich in Vergessenheit zu bringen, indem er weiterhin Messen abhielt. Erst 2010 wurden die ersten Verantwortlichkeiten bekannt, aber der Priester konnte rechtzeitig nach Italien zurückkehren, um in seiner Heimatgemeinde Sorbolo, einem kleinen Dorf in der Provinz Parma, als Gast von Don Giuseppe Montali die Messe zu halten.

José Guillermo Beron

Doppelte Standards

Ein erstes Auslieferungsersuchen lehnte die italienische Justiz 2013 ab, weil die direkte Verantwortung des Priesters nicht klar ersichtlich sei. Im Oktober 2023 bestätigte die Kassationskammer jedoch die Stellungnahme zugunsten eines neuen Auslieferungsantrags, der zuvor vom Berufungsgericht in Bologna formuliert worden war und diesmal neue Beweise für seine Beteiligung am Tod des jungen Beron und an der Folterung von neun Gefangenen enthielt. Nach Ansicht des Kassationsgerichts waren die von Reverberi begangenen Verbrechen Teil „eines seriellen Systems von Folterungen, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden können und sich gegen politische Dissidenten des damals in Argentinien herrschenden Militärregimes richteten, die in einer zu diesem Zweck eingerichteten Hafteinrichtung durchgeführt wurden, in der der jetzige Ausgelieferte als Militärseelsorger tätig war und die Aktionen des Militärs begünstigt haben soll“.

Aber auch diesmal kam Reverberi ungeschoren davon: Im November desselben Jahres wurde der Rechtsextremist Javier Milei zum Präsidenten der argentinischen Republik ernannt. Im Januar 2024 lieferte der Justizminister der Regierung Meloni, Carlo Nordio, der die endgültige Entscheidung zu treffen hatte, den Folterer-Priester aufgrund seines hohen Alters (86) und seines prekären Gesundheitszustands nicht aus. Eine Entscheidung, die nur auf den ersten Blick eine Garantie darstellte, ganz im Gegensatz zur Verfolgung von Leonardo Bertulazzi durch die italienische Regierung, der – im Gegensatz zu Reverberi – nur wegen Vereinigungsdelikten und der Entführung des Reeders Pietro Costa verurteilt worden war, und zwar auf der Grundlage der Aussagen zweier Verräter, die nicht an dem Ereignis teilgenommen hatten; einer der beiden war zum Zeitpunkt der Tat noch nicht einmal Mitglied der Roten Brigaden.

Der Bravi-Pakt

Die soeben aufgeführten Fakten zeigen, dass die Entscheidung von Nordio das Ergebnis einer politischen Vereinbarung war, die durch das herzliche Tête-à-Tête, das Meloni und Milei den Fotografen während des G7-Gipfels in Apulien im Juni 2024 anboten, sanktioniert wurde. Nachdem er dem Folterer Reverberi auf Wunsch von Milei Immunität gewährt hatte, erhielt Premierministerin Meloni als Geschenk die Festnahme von Leonardo Bertulazzi, die einen offenen Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung darstellt. Die argentinische Justiz hatte das Auslieferungsersuchen bereits 2002 abgelehnt, weil es mit dem argentinischen Justizsystem unvereinbar war, in dem die Möglichkeit, rechtskräftige Urteile in Abwesenheit zu verhängen, nicht vorgesehen ist. Nach dieser Entscheidung wurde Bertulazzi im Jahr 2004 der Status eines politischen Flüchtlings zuerkannt. Dieses Asyl wurde plötzlich am Tag seiner erneuten Verhaftung, dem 24. August 2024, in einem Akt reiner Willkür ohne jegliche Rechtsgrundlage widerrufen. In den letzten Tagen sind in der argentinischen Presse erste Hintergründe zu dieser Entscheidung aufgetaucht. Laut Tiempo argentino erhielt Luciana Litterio, die auf Vorschlag des Innenministers der Regierung Milei zur Leiterin der Nationalen Flüchtlingskommission (Conare) ernannt worden war, „einen Anruf, der sie in eine Zwickmühle brachte. Der Präsident der Republik, Javier Milei, bat sie, oder befahl ihr wahrscheinlich, den Flüchtlingsstatus von Leonardo Bertulazzi unverzüglich aufzuheben“. Die neue Leiterin von Conare “hätte mit dem Rücken zur Wand gestanden“, schreibt die argentinische Tageszeitung weiter: “Litterio hatte zwei Möglichkeiten: die Aufforderung zu ignorieren und damit die vom Land unterzeichneten internationalen Abkommen zu respektieren und ihre Vergangenheit als Akademikerin, die sich auf Flüchtlinge und internationale Migration spezialisiert hat und 16 Jahre lang Leiterin der Abteilung für internationale Angelegenheiten in der Nationalen Migrationsbehörde war, zu ehren. – Ein Amt, in das sie während der ersten Amtszeit von Cristina Fernández berufen und von allen nachfolgenden Regierungen bestätigt wurde – oder sie respektiert die Anordnung des Präsidenten und wirft ihre Karriere und ihren absehbaren Wechsel in eine Führungsposition beim UNHCR oder einen diplomatischen Posten bei den Vereinten Nationen über Bord“.

Eine neue weltweite Jagd auf Kommunisten

Das Scheitern der Auslieferung von Don Reverberi und die erneute Verhaftung von Bertulazzi trotz des gewährten politischen Asyls zeigen, dass in beiden Fällen unterschiedliche Verfahrensweisen angewandt wurden, die jeglicher Rechtsnorm entbehren und nur von einem heftigen antikommunistischen Revanchismus und dem Wunsch nach Schutz von Schwerverbrechern südamerikanischer Diktaturen geleitet sind. Ein Beweis dafür sind die Erklärungen, die der derzeitige Stabschef des Sicherheitsministeriums, der die Verhaftung von Bertulazzi in seinem argentinischen Haus koordinierte, gegenüber Sussidiario.net abgab, nur wenige Minuten nachdem ihm das politische Asyl entzogen worden war. Carlos Manfroni zufolge „hat das von Patricia Bullrich geleitete Sicherheitsministerium die Entscheidung getroffen, ehemalige Terroristen [revolutionäre Kommunisten der 1970er Jahre, Anm. d. ital. Ü.] nicht mehr vor Auslieferung zu schützen. In Bezug auf die argentinischen Terroristen [die antifaschistischen Gegner der Diktatur, Anm. d. ital. Red.], die im Jahrzehnt der 1970er Jahre ‘abartige Verbrechen’ begangen haben, bedauert Manfroni, dass „das [argentinische, Anm. d. ital. Red.] Gericht in jenen Jahren leider entschieden hat, dass ihre kriminellen Handlungen verjährt sind und dass es sich nicht um Verbrechen handelt, die der Kategorie Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuzurechnen sind. Ein Kriterium, mit dem ich nicht einverstanden bin, das aber derzeit ihre Inhaftierung verhindert“.

Die Verbrechen der Macht und die Verbrechen der Aufständischen

Manfroni verweist auf die Rechtsprechung, die die argentinische Justiz in den Jahren des Übergangs nach der Diktatur hervorgebracht hat. Demnach sind Verbrechen, die von Gegnern der Militärdiktatur begangen wurden, aufgrund der verstrichenen Jahrzehnte de facto verjährt, während die Verbrechen der diktatorischen Macht (Morde, Folter und Verschwindenlassen), die so genannte „guerra sucia“, die von Mitgliedern des Militärregimes begangen wurden, immer noch strafrechtlich verfolgt werden können, da sie als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten und daher nicht geächtet werden können. Eine fortschrittliche Rechtsprechung, die die Grundsätze des Widerstandsrechts aufgreift und zwischen Gewalt, die aus der Unterdrückung durch die Staatsmacht resultiert, und Gewalt von unten, die von Aufständischen begangen wird, unterscheidet. 
Am Ende seines Interviews enthüllt Carlos Manfroni auch die zwischen Milei und Meloni vereinbarte Strategie, um die Auslieferung Bertulazzis zu erreichen: „2004“, erklärt er, „wurde der ehemalige Brigadist nicht ausgeliefert, weil er in Italien verurteilt worden war. Aber nach dem Auslieferungsabkommen zwischen Argentinien und Italien kann Bertulazzi ausgeliefert werden, wenn Italien bereit ist, ein neues Verfahren anzubieten, anstatt die alte Strafe anzuwenden, und ich glaube, dass dies letztendlich das Instrument sein wird, das eingesetzt wird“. Allerdings gibt es in Italien keine Vorschrift, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach einem rechtskräftigen Urteil vorsieht.

Die französische Erfahrung


Ein aktueller und wichtiger Präzedenzfall, der an diese unüberwindbare Grenze stößt, betrifft die Weigerung der französischen Justiz, zehn ehemalige Kämpfer der bewaffneten italienischen Linken aus den 1970er Jahren auszuliefern. Die französischen Gerichte stellten fest, dass die italienische Seite nicht in der Lage war, ein Wiederaufnahmeverfahren für die in Abwesenheit Verurteilten zu garantieren, und verweigerten daher die Auslieferung unter Hinweis auf die Nichteinhaltung des in Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Grundsatzes eines ordentlichen Verfahrens. Darüber hinaus verwiesen sie auf die Notwendigkeit, die Rechte zu schützen (Art. 8), die im Laufe der Jahrzehnte des Aufenthalts auf französischem Boden erworben wurden (d.h. die zahlreichen gerichtlichen, politischen und administrativen Entscheidungen, die im Laufe der Zeit von den französischen Behörden getroffen wurden). Ein juristischer Präzedenzfall, den die argentinischen Richter, die den Fall Bertulazzi zu beurteilen haben, sicherlich nicht ignorieren können.

Erschienen am 12. September 2024 auf Insorgenze, ins Deutsche übertragen von Bonustracks. Zur Inhaftierung von Leonardo Bertulazzi siehe auch den Artikel vom 31. August 2024 auf Bonustracks.