Enrico Tomaselli
Ein leicht zu begehender Fehler, wenn man an die aktuelle Weltlage denkt, besteht darin, die Bedeutung der Entscheidungen, die von den verschiedenen Führungen getroffen werden können, zu überschätzen; oder besser gesagt, man berücksichtigt nicht ausreichend, inwieweit die Anhäufung vergangener Entscheidungen (und ihrer Folgen) das Spektrum möglicher Optionen immer mehr einschränkt und somit – in der Tat – den Schwerpunkt der Entscheidungsfindung vom Willen der politischen Eliten auf die objektive Verflechtung der Elemente vor Ort verlagert.
Nehmen wir zum Beispiel den Ukraine-Konflikt, der sich nun schon dem dritten Jahr nähert, so sollten wir – vernünftigerweise – erkennen, dass die Chancen für eine nicht-militärische Lösung inzwischen ausgesprochen gering sind und offensichtlich rasch abnehmen. Und das liegt in der Tat nicht mehr so sehr am mangelnden Willen zu einer diplomatischen Lösung, sondern an der Tatsache, dass die Spielräume für eine solche mögliche Lösung tatsächlich minimal sind.
Natürlich gibt es gegensätzliche Interessen, die nicht leicht zu vereinbaren sind oder zwischen denen sich nicht einmal eine Vermittlung finden lässt, sei es das ukrainische Interesse an der Wahrung/Wiedererlangung der territorialen Integrität oder das Interesse der USA an der Destabilisierung Russlands – und natürlich die gegensätzlichen russischen Interessen.
Es ist schon oft gesagt worden, dass der Krieg eine eigene Logik hat, die die Sache zu Ergebnissen führt, die oft ganz anders als gewünscht und vor allem unvorhergesehen sind. Und das gilt natürlich auch für die politischen Folgen. Es ist inzwischen klar, dass sich das Kalkül, mit dem die beiden Hauptakteure – die USA und Russland – in den Konflikt gegangen sind, nicht nur (in unterschiedlichem Maße) als falsch erwiesen hat, sondern gerade durch seine Fehlerhaftigkeit zu einer Veränderung der strategischen Ziele geführt hat.
Wenn der amerikanisch geführte Westen den Konflikt in dem Glauben ausgelöst hat, ihn als Faustpfand zu benutzen und dadurch eine Destabilisierung Russlands zu erreichen, die wiederum zu einem Sturz der politischen Führung des Landes führen würde, so ist dieses Ziel mehr als zweieinhalb Jahre nach Beginn des Krieges selbst in der stumpfsinnigsten Propaganda kaum noch zu erahnen. Stattdessen zeichnet sich realistischerweise eine hypothetische Kompromisslösung ab, die – zumindest – die Glaubwürdigkeit (und Einheit) der NATO nicht weiter untergraben würde.
Wenn Moskau in den Konflikt mit der Vorstellung eingetreten ist, unter militärischem Druck schnell zu einer Kompromisslösung zu gelangen, so ist im Laufe des Krieges die Überzeugung gereift, dass der Westen als Ganzes völlig unzuverlässig ist und daher jede Lösung nicht aus einer Vereinbarung, sondern aus einer tatsächlichen Situation hervorgehen muss, die durch die Vereinbarung allenfalls formal besiegelt wird.
Gegenwärtig scheint sich im Westen die (bereits seit einiger Zeit hypothetisch vorgebrachte) Möglichkeit einer Verhandlungslösung des Konflikts auf der Grundlage eines Gebietsaustauschs (den Russland bereits kontrolliert) und des Beitritts der verbleibenden Ukraine zum Atlantischen Bündnis zu etablieren. Diese Lösung, sollte sie durchführbar sein, würde es der NATO ermöglichen, sie als (halben) Sieg darzustellen, und sie würde in jedem Fall als vorübergehend angesehen werden, d.h. als eine Art kolossales Minsk III: ein Abkommen, um die Ukraine hinzuhalten, sie wieder auf den richtigen Weg zu bringen und sie, falls nötig, in einem irredentistischen Krieg erneut gegen Moskau einzusetzen.
Es ist klar, dass wir uns immer noch im Reich der Fiktion befinden, aber die westliche Führung scheint hartnäckig davon überzeugt zu sein, dass Russland für eine Kompromisslösung offen ist, da die Zermürbung durch den Krieg größer wäre, als es scheint.
Aber wenn eine solche Hypothese im Jahr 2022 vielleicht noch denkbar gewesen wäre, so ist sie es heute sicher nicht mehr. Zunächst einmal ist nicht zu übersehen, dass Moskau einen so gewaltigen Schritt unternommen hat, um das zu verhindern, was es als existenzielle Bedrohung ansah, nämlich die NATO-„Anlandung“ in der Ukraine. Dass es knapp drei Jahre später stattdessen bereit ist, sie zu akzeptieren, ist offen gesagt unverständlich. Es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, dass diese Jahre des Krieges für Russland auf jeden Fall einen Preis hatten, wenn auch einen weitaus geringeren als den, den die Ukraine gezahlt hat, und sicherlich einen geringeren als den, den Europa gezahlt hat, und es wäre inakzeptabel, umsonst bezahlt zu haben. Die Annexion der Gebiete Neurusslands war nämlich nie das eigentliche Ziel (alle Kompromissversuche bis hin zu den gescheiterten Istanbuler Vereinbarungen sahen die Autonomie des Donbass und nicht den Beitritt zur Russischen Föderation vor).
Die Annexion bringt zwar einerseits einen demographischen Aufschwung für ein Land, das unter Bevölkerungsmangel leidet, bringt aber andererseits Wiederaufbaukosten mit sich, die nur teilweise und mittel- bis langfristig durch den mineralischen und industriellen Reichtum der Region kompensiert werden können. Darüber hinaus würde Washington de facto, aber nicht de jure, etwas anerkennen, was bereits besteht.
Aus russischer Sicht hat sich im Laufe des Krieges immer deutlicher gezeigt, dass das westliche Ziel der Zerstörung Russlands keineswegs aufgegeben ist, sondern allenfalls aus taktischen Gründen vorübergehend ausgesetzt werden könnte, und – was in gewisser Hinsicht noch wichtiger ist – dass die westliche Führung völlig unzuverlässig und zu jeder Doppelzüngigkeit und jeder Lüge fähig ist.
Allein aus diesen Gründen würde Moskau niemals Verhandlungen auf einer solchen Grundlage akzeptieren.
Aber es gibt noch andere, viel stichhaltigere Gründe, und zwar für beide Seiten, die nicht nur diese Vermittlungshypothese, sondern jede andere unmöglich machen.
Die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Vasallen haben zu viel in diesen Konflikt investiert (wirtschaftlich, militärisch und politisch), um zu akzeptieren, dass sie als Verlierer dastehen; dies gilt umso mehr in einer Zeit, in der die Wahrnehmung ihrer Schwäche katastrophale Folgen haben könnte. Ein umgekehrter Dominoeffekt, bei dem eine allgemeine Misstrauenskrise auf Seiten befreundeter Länder und eine Ermutigung zur Distanzierung auf Seiten neutraler Länder nicht nur das imperiale Ansehen gefährden würde, sondern auch die effektiven Möglichkeiten, sich den nächsten Herausforderungen zu stellen – vor allem derjenigen mit China.
Insbesondere würden dadurch sowohl die NATO als auch AUKUS und ganz allgemein das gesamte Netzwerk, auf dem die Macht des Imperiums beruht, in Gefahr geraten, auszufransen.
Dies würde unweigerlich zu einer weiteren Beschleunigung des Prozesses der Entdollarisierung der Weltwirtschaft führen, aber auch zu einem Abbau der militärischen Macht der USA in der Welt: Einige Länder, die US-Stützpunkte beherbergen, würden diese nicht mehr als Schutzgarantie – oder als zu zahlenden Preis – ansehen und auf deren Abbau drängen. Dies ist bereits der Fall.
Darüber hinaus würde die strategische Schwächung, die sich aus einer Niederlage in der Ukraine ergibt, nach dem Prinzip der kommunizierenden Gefäße einer strategischen Stärkung Russlands entsprechen, dessen Autorität und Glaubwürdigkeit – die bereits heute erheblich zunehmen – gestärkt würden. Und dieser Zuwachs würde sich wiederum auch auf die anderen Feindesländer der Vereinigten Staaten – in erster Linie Iran und China – auswirken, was die amerikanische Fähigkeit zur Kontrolle beispielsweise des Nahen Ostens weiter schwächen würde. Schließlich würde ein russischer Sieg Moskau de facto zur führenden Militärmacht machen und seine Position insbesondere innerhalb der strategischen Allianz mit Peking stärken, wobei letzteres die Rolle der Wirtschaftsmacht übernehmen würde, während Russland die Rolle des Schwertes des eurasischen Blocks spielen würde.
Jede Lösung, die nicht als Sieg oder selbst als Unentschieden zu werten ist, wäre daher für Washington inakzeptabel, da sie eine entscheidende imperiale Glaubwürdigkeit untergraben würde, und das zu einem Zeitpunkt, an dem diese Glaubwürdigkeit bereits auf wackligen Beinen steht und Amerika sich Herausforderungen von enormer Tragweite gegenübersieht, die – was die geopolitischen strategischen Auswirkungen betrifft – mit dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar sind.
Die Hypothese eines Rückzugs aus dem Ukraine-Konflikt ist daher nicht nur äußerst schwierig (selbst in der Trump’schen Version, die vielleicht noch phantastischer ist…), sondern auch nicht wirklich als eine echte strategische Perspektive zu verstehen. Tatsächlich befinden sich die Vereinigten Staaten immer noch in der Schwebe, unentschlossen zwischen einer Fortsetzung ad libitum und einem Abgang aus Kiew, bevor es zu spät ist. In der Pole-Position steht die mittlere Hypothese, die heiße Kartoffel an die europäischen Vasallen weiterzureichen.
Russland wiederum hat sehr gute Gründe, nicht über ein Abkommen zu verhandeln. Erstens – und offensichtlich – aus dem einfachsten Grund: Es gewinnt vor Ort. Denn Russlands Vorstellung von einem Sieg misst sich nicht an der Zahl der eroberten (oder befreiten) Quadratkilometer, sondern an der Zerstörung des militärischen und industriellen Potenzials der Ukraine. Nur dies könnte in der Tat hinreichende Garantien dafür bieten, dass die Bedrohung in einigen Jahren nicht wiederkehren wird. Der manu militari-Sieg, der im Übrigen nicht mehr lange auf sich warten lässt, wird es Moskau ermöglichen, eine Aufgabe zu erwirken und damit die Bedingungen für die Kapitulation [1] zu stellen. Ohne sie mit Washington zu diskutieren. Die Fortsetzung des Krieges ermöglicht es folglich auch, das Kriegspotenzial der NATO zu schwächen, was wiederum ein strategisches Ziel darstellt.
Mittel- bis langfristig hält die russische Führung nämlich einen offenen und direkten Konflikt mit der NATO für unvermeidlich. Diese Überzeugung – oder sagen wir besser: dieses Bewusstsein – führt zu zwei grundlegenden Schlussfolgerungen. Die erste, die in letzter Zeit noch deutlicher zutage getreten ist (auch wenn nicht klar ist, ob und inwieweit sie berücksichtigt und verstanden wurde), besteht in der Änderung der russischen Nukleardoktrin [2]. Dabei handelt es sich nicht, wie oft dargestellt, um eine Art Antwort auf die Drohung, dass die ukrainischen Streitkräfte mit Hilfe von NATO-Rüstungsgütern (und der damit verbundenen Logistik…) in der Tiefe angreifen, sondern sie hat offensichtlich eine viel größere Tragweite. Moskau ist sich zwar bewusst, dass es über einige unbestreitbare Vorteile gegenüber dem Atlantischen Bündnis verfügt (im nuklearen Bereich, im Bereich der Raketen, der industriellen Kapazitäten, der elektronischen Kriegsführung und natürlich der Kampferfahrung), aber es ist sich auch bewusst, dass die NATO ihrerseits über einige nicht unerhebliche Vorteile verfügt: die Luftwaffe, eine beträchtliche strategische Tiefe (Europa – Atlantik – Vereinigte Staaten) und vor allem eine überwältigende Mobilisierungsfähigkeit.
Um einem solchen Gegner gegenübertreten zu können, muss Moskau unbedingt in der Lage sein, die Waage zu halten, und zwar sowohl in Bezug auf die Abschreckung als auch, mehr noch, in Bezug auf die effektive Einsatzfähigkeit. Da ein Zusammenstoß dieses Ausmaßes für die Russische Föderation zweifellos existenziell wäre, wird die Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen – ob taktisch oder strategisch, spielt keine Rolle, der Unterschied ist im Grunde nur symbolisch – notwendigerweise Teil der Militärdoktrin, und zwar unter den kürzlich dargelegten Bedingungen, die ihren Einsatz auch gegen Länder vorsehen, die selbst keine Atomwaffen besitzen (fast alle Europäer), wenn sie mit einem Land verbündet sind, das über Atomwaffen verfügt (…), und selbst in Ermangelung einer effektiven Drohung seitens des letzteren, sie zuerst einzusetzen.
Die zweite Schlussfolgerung ist, dass das Problem innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens gelöst werden muss. Bevor die NATO die derzeitige Krise überwunden hat (die Streitkräfte des Bündnisses sind weitgehend nicht ausreichend, und die unterstützende Industrieproduktion ist noch weit von dem für eine solche Konfrontation erforderlichen Niveau entfernt). Und solange die russische Mobilisierungskapazität auf einem ausreichenden Niveau bleibt. Die russische Bevölkerung befindet sich nämlich ebenso wie die europäische in einem demographischen Abwärtstrend, und diese Entwicklung wird sich irgendwann auf die – als erheblich angesehenen – operativen Fähigkeiten auswirken. Die Zeiten des Zweiten Weltkriegs, als die UdSSR (die ohnehin größer war als Russland allein) es sich leisten konnte, über 22 Millionen Menschen zu verlieren und trotzdem den Krieg zu gewinnen, sind längst vorbei.
Mit einer Bevölkerung von nur 150 Millionen steht Russland heute einer europäischen Bevölkerung von über 740 Millionen und einer amerikanischen Bevölkerung von über 330 Millionen gegenüber [3].
Darüber hinaus senden die Europäer ständig äußerst kriegerische Signale in Richtung Moskau aus, die inzwischen sogar noch stärker sind als die von Washington ausgesandten. Viele europäische Politiker und Militärs geben inzwischen einen Zeitpunkt für den Konflikt an, sogar einen sehr nahen (vielleicht etwas zu nahen). Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius beispielsweise hält es auf der Grundlage der Aussagen des Generalstabs der Bundeswehr für notwendig, „bis 2029 kriegsbereit zu sein“ [4], während der Generalstabschef der britischen Armee, Sir Raleigh Walker, davor gewarnt hat, dass die Kombination von Bedrohungen bis 2027-28 zu einem Zusammenstoß mit der „Achse des Schreckens“ (Russland, China, Iran und die DVRKorea) führen könnte [5]. Ganz zu schweigen davon, dass die europäischen Länder in großem Umfang sowohl in die Wiederaufnahme der industriellen Großproduktion von Munition als auch in eine Reihe von Anpassungen der logistischen Infrastruktur an die militärischen Erfordernisse investieren. Es gibt sogar einen NATO-Plan (OPLAN DEU), der den Einsatz von 800.000 Mann und 200.000 Fahrzeugen und schwerem Gerät an der Ostfront vorsieht [6]; und der unter anderem die Einleitung von Programmen zur Steigerung der Panzerproduktion, zur Aufstockung der Munitionsvorräte (derzeit für 2 Tage geplant, nach NATO-Standard sollten es aber 30 sein) und zum Bau von Gefangenenlagern vorsieht!
In Anbetracht dieser Elemente ist ein vernünftiger Zeitrahmen, innerhalb dessen Russland die Konfrontation bewältigen und lösen muss, vorhersehbar recht kurz: zwischen fünf und maximal sieben Jahren. Dieser Zeitraum deckt sich im Übrigen in etwa mit Putins Amtszeit als Präsident.
Zu glauben, dass die russische Führung nicht so weit gehen wird, ist reine Naivität. Und auch wenn die westliche Propaganda den russischen Staatschef weiterhin als Unhold darstellt, der ganz Europa erobern will, denkt man in den Staatskanzleien leider in Wirklichkeit, dass er dies niemals wagen wird und dass er ohnehin nicht die Kraft dazu hätte [7]. Das heißt, sie machen weiterhin dieselben Fehler, die sie bis zum Vorabend des 24. Februar 2022 gemacht haben: sich selbst überschätzen und den Feind unterschätzen. Andererseits ist die militärische Sonderoperation nicht nur der erwiesene Beweis dafür, dass Russland handelt, wenn es in die Enge getrieben wird, sondern Putin selbst hat deutlich gemacht, dass man zuerst zuschlagen muss, wenn man der Überzeugung ist, dass eine Konfrontation unvermeidlich ist.
Deshalb konnte Moskau nichts Geringeres als einen Sieg vor Ort, in der Ukraine, akzeptieren. Denn dies ist die Vorbereitung auf den endgültigen Zusammenstoß mit der NATO, und es ist auf jeden Fall vorteilhafter, den Krieg zu verlängern – indem man die Erholung des Atlantischen Bündnisses verlangsamt – als einen Waffenstillstand zum Verschnaufen zu schließen. Etwas, das sie im Übrigen immer wieder sehr deutlich wiederholen, was aber von den westlichen Führern weiterhin ignoriert wird, die von ihrem eigenen kollektiven Ego, ihrer eigenen Arroganz und der Überzeugung von ihrer (nur noch vermeintlichen) Überlegenheit völlig vereinnahmt sind.
Strategisch gesehen sind dies die Bedingungen der Angelegenheit. Wir bewegen uns auf eine bewaffnete Konfrontation mit Russland zu, weil wir nicht in der Lage sind, uns von dem westlichen Drang, Russland zu vernichten, zu befreien.
Wie auch immer die taktischen Schachzüge, diplomatischen Balanceakte, Doppelzüngigkeit, Zirkustricks und was auch immer aussehen mögen, wenn diese Bedrohung nicht schnell und auf absolut glaubwürdige Weise beseitigt wird, ist ein Krieg unvermeidlich.
Beim derzeitigen Stand der Dinge, sowohl was die internationalen Gleichgewichte als auch was die Zeit betrifft, besteht die einzige Möglichkeit, einen Flächenbrand zu vermeiden, vielleicht darin, dass sich europäische Länder in erheblichem Umfang zurückziehen. Nicht unbedingt ein Austritt aus der NATO, was in diesem Zeitrahmen unwahrscheinlich, wenn nicht gar unmöglich erscheint, aber sicherlich eine klare, sachliche Haltung gegen die Möglichkeit eines Krieges. Und sachlich bedeutet in erster Linie den Verzicht auf Aufrüstungsprogramme und die kriegsähnliche Umstrukturierung der europäischen Infrastrukturen, nicht nur pazifistische Erklärungen. Und vielleicht zunächst einmal eine deutliche Reduzierung der Militärhilfe für die Ukraine. Es würde wahrscheinlich schon genügen, wenn diese Abkehr in einigen der wichtigsten Länder – zum Beispiel in Deutschland und Frankreich – stattfinden würde, was auf die abenteuerlichen Impulse in Polen einwirken würde. Die Zeit ist jedoch knapp, und es ist nicht sicher, ob sie ausreichen wird.
Fußnoten
[1] In einem Interview mit Newsweek hat der russische Außenminister Lawrow kürzlich die russischen Bedingungen für ein Friedensabkommen (und die Ablehnung eines Waffenstillstands) bekräftigt: vollständiger Rückzug der AFU [Armed Forces of Ukraine, d.Ü.] aus den Oblasten DPR [Donezker Volksrepublik], LPR [Luhansker Volksrepublik], Saporoschje und Cherson; Anerkennung der territorialen Realitäten, wie sie in der russischen Verfassung verankert sind; neutraler, blockfreier und nicht-nuklearer Status der Ukraine; Entmilitarisierung und Entnazifizierung des Landes; Garantie der Rechte, Freiheiten und Interessen der russischsprachigen Bürger; Aufhebung aller Sanktionen gegen Russland. Eine vollständige Kapitulation, in der Tat. Siehe „Exclusive: Russia’s Lavrov Warns of ‚Dangerous Consequences‘ for US in Ukraine“, Newsweek
[2] Lawrow zitiert Putin: „Wir werden angemessene Entscheidungen auf der Grundlage unseres Verständnisses der vom Westen ausgehenden Bedrohungen treffen. Es liegt an Ihnen, daraus Schlüsse zu ziehen“. In ebd.
[3] Es stimmt auch, dass die europäischen NATO-Länder derzeit Probleme haben, neue Truppen zu rekrutieren, und dass es ihnen schwer fallen könnte, diese im Falle eines Konflikts mit Russland zu mobilisieren. Derzeit werden die Streitkräfte auf 1,9 Millionen Mann geschätzt, ein Kontingent, das ausreichen dürfte, um den russischen Streitkräften entgegenzutreten, auch wenn die Europäer in Wirklichkeit Schwierigkeiten hätten, die im Rahmen der neuen Verteidigungspläne vorgesehenen 300.000 zusätzlichen Soldaten zu rekrutieren. Aber natürlich würden diese Probleme nur im Falle einer (relativ) begrenzten Konfrontation auftreten; im Falle einer allgemeinen Mobilisierung durch die Einberufung würde die demographische Lücke ihren vollen Tribut fordern. Zu diesem Thema vgl. „Europe boldly redefines security for a new age of threats“, Financial Times
[4] “Regierung gibt neuen Plan für den Kriegsfall raus”, Bild
[5] UK must be ready for war in three years, head of British Army warns”, Deborah Haynes, Sky News
[6] “So bereitet sich Deutschland auf Krieg vor”, Nikolaus Harbusch, Bild
[7] 7 – Laut dem schwedischen Verteidigungsminister Pal Jonson ist „dem Kreml und Putin selbst klar, dass sie einen militärischen Konflikt mit der NATO verlieren werden“. Siehe ‘Pål Jonson über Wehrpflicht und eine starke NATO’, Bild
Erschienen im italienischen Original am 9. Oktober auf Giubbe Rosse News, ins Deutsche übersetzt von Bonustracks.