Tagebuch einer jungen Magierin

C. Frézel

Mein rechtes Nasenloch tat weh. Die zwei meuj, die wir drei uns gerade reingezogen hatten, hatten ihre Spuren hinterlassen. Und dann diese anhaltende Kälte an den Füßen. Und nicht zu vergessen die Angst zu stören. Der Wunsch oder das Bedürfnis nach Einsamkeit. Und gleichzeitig diese Angst vor dem Verlassenwerden. Ich musste lernen, diese Ambivalenz zu zähmen. Ich musste auf mich selbst aufpassen, aber diese Anforderung erschien mir wie alle anderen Anforderungen, nämlich wie eine Kampfansage. Ich hatte wirklich Schwierigkeiten. Es fiel mir schwer, Entscheidungen zu treffen. Mich zu disziplinieren. Was mich wirklich störte, war, es den anderen gleich zu tun. Denn ich sah die Normen der Existenz. Wo immer ich auch hinkam, sah ich diese Milieuregeln und ihre unsichtbare Befehlskette. Nein, ich wollte nicht so sein wie alle anderen. Ich hatte gelitten. Sehr viel. Ich war von so schrecklichen Intensitäten durchdrungen, dass nur poetische Metaphern hoffen konnten, wenigstens ein wenig davon zu berühren. Das war mein Geheimnis. Denn auch so schöne Intensitäten hatten mich gepackt. Also kein Jammern und Klagen. Wer würde es überhaupt verstehen? Wahrscheinlich niemand und gleichzeitig jeder. Ich denke, es ist an der Zeit, mich zurückzuziehen und mich wirklich auf mich selbst zu konzentrieren. Ich bin offensichtlich gut im Reden. Aber in der Ära des Geschwätzes habe ich das Gefühl, dass ich mich unnötig anstrenge.

Und wenn ich Ihnen sage, dass ich die Propheten verstehe, dass ich wie sie gerochen, gesehen, berührt, geschmeckt, zugehört und gehandelt habe, was werden Sie dann sagen? Was werden Sie tun oder schlussfolgern?

Wenn ich Ihnen sage, dass ich mehr weiß und dass es mir in dem Sinne egal ist, dass ich deswegen keinen Ruhm empfinde. Denn es ist nicht meine Schuld oder mein Verdienst. Es ist mir einfach zugefallen.

Wenn ich Ihnen sage, dass ich Angst habe. Angst, dass das Glück, das das Leben ist, vergeht. Wenn ich Ihnen sage, dass mir die Zeit davonläuft.

Nein, das würde nichts nützen. Denn niemand hört zu. Nicht nur ich nicht. Niemand hört überhaupt zu.

Dennoch kann ich mich nicht damit aufhalten. Es geht mir darum, dass das Leben weitergeht. Dass dieser Planet bewohnbar bleibt.

Wie kann ich das also tun?

Wie kann man dieses System des programmierten Todes zum Entgleisen bringen? Es gibt kein Rezept und ich möchte niemals beschattet werden. Ich möchte mitlaufen, weder drüber- noch voranlaufen. Ich möchte die Flamme weitertragen. Den Anspruch, die Entschlossenheit und die Freude.

Zu schreiben und zu hoffen, dass meine Worte in einem zukünftigen Moment die Welt verändern werden, ist nicht ausreichend. Noch einmal: Die Zeit drängt.

Wir anderen müssen die Schwerter des Lichts ergreifen oder zurückerobern. Denn es handelt sich hier um einen Krieg. Es ist wahrscheinlich der am schwersten zu gewinnende Krieg in der Geschichte. Denn die Magie des Feindes ist sehr mächtig, sehr komplex und sehr ausgeklügelt. Zweifellos hat sie sich verselbstständigt und ist dadurch unkontrollierbar geworden. Das ändert jedoch nichts daran. Es gibt durchaus fleischliche Wesen, die diese Magie wie fanatische Pyromanen vorantreiben.

Dagegen ist Kritik machtlos. Genauso wenig wie Verhandlungen. Man verhandelt nicht mit denjenigen, die alle in Gefahr bringen.

Man beginnt damit, sie zu entwaffnen, und dann urteilt man über sie.

Wo soll man also anfangen? Was tun wir angesichts einer Magie von solchem Ausmaß?

Nun, zunächst einmal identifizieren wir sie, während wir uns selbst wiedererkennen, aber uns nicht offenbaren. Das heißt, wir lernen unter anderem, zu schweigen. Plaudern bringt sowieso nichts. Schreien noch weniger. Handeln hingegen schon. Es gibt tausend Dinge, die man tun kann. Die Entzauberung ist eine davon, die ich für geeignet halte. Das kann nur mit weißer Magie erreicht werden. Aber diese Magie muss absolut okkult bleiben. Diejenigen, die sie anwenden, werden vernichtet, wenn sie sich offenbaren. Und diese Form der Magie trägt sehr alte und vergessene Züge, aber auch neue und noch zu erfindende Züge.

Denn so beunruhigend es auch klingen mag, es handelt sich tatsächlich um Magie. Selbstverständlich sind die Erkenntnisse der politischen Theorie zu mobilisieren. Ebenso wie die der Geosoziologie, der Geschichte, der Philosophie, der Anthropologie oder der Poesie. Die Disziplin, die sich gegenwärtig am besten für die Durchführung des Umsturzes eignet, ist jedoch die Magie. Denn sie ist der Ausgangspunkt, von dem aus alles betrachtet werden kann. Die Machtverhältnisse werden ständig unter die Lupe genommen. Dass die Worte von vornherein wieder ein wirksames Gesicht bekommen. Dass alle Reden in Bezug auf ihre Wirkung gleichgestellt werden.

Jeder trägt einen Magier in sich. Und zwar jeder. Danach ist es eine Frage der Prüfung, der Begegnung, der Erfahrungen und der Arbeit. Deshalb ist Bewusstwerdung allein mehr als unzureichend.

Sie werden uns für verrückt erklären. Und sie werden Recht haben.

Sie werden uns als eine Sekte ansehen. Und sie werden Recht haben.

Sie werden Krieg gegen uns führen. Und sie werden Recht haben.

Denn sie haben und werden immer Recht haben; bis … bis zu der Stunde, in der wir zahlreicher und stärker sind, und erst dann werden sie Unrecht haben. „Die Vernunft des Stärkeren ist immer die Beste“.

Veröffentlicht am 16. Oktober 2024 auf ENTÊTEMENT, ins Deutsche übertragen von Bonustracks.