Athena auf Erden

Emilio Quadrelli und Lidia Triossi

Sich auf politischer und theoretischer Ebene mit der Frage zu befassen, wie sich Kommunisten in einem Kontext wie dem gegenwärtigen organisieren sollten, ist sicherlich eine äußerst schwierige Aufgabe. Andererseits scheinen uns die heute bestehenden Optionen nicht zufriedenstellend zu sein, und wir sind vor allem der Meinung, dass sie im Lichte einer eingehenden Ausarbeitung und eines Vergleichs überarbeitet werden sollten. Was die Frage der Partei („Organisierung“), der politischen und militärischen Strategie betrifft, so ist es klar, dass wir in der kommunistischen Bewegung eine sehr rückständige theoretische und debattierende Ebene haben, die wir nicht ignorieren können. Sie hier und jetzt anzugehen, scheint uns eine Aufgabe zu sein, die nicht länger aufgeschoben werden kann.

Das Ziel unserer Ausarbeitung ist es, die Tendenzen in der kommunistischen Bewegung zu erfassen, die sich etabliert haben und die immer noch Gültigkeit haben, und im Gegenzug die Aspekte zu verstehen, die überflüssig geworden sind und an denen es sinnlos ist, festzuhalten. Schließlich müssen die Aspekte, die wir für gültig halten, mit dem neuen Kontext, in dem wir uns bewegen, in Verbindung gebracht werden. Natürlich können wir aus diesen Überlegungen keine „perfekte Formel“ ableiten, die es im Übrigen auch nicht gibt, aber wir können sie nutzen, um zu verstehen, in welche Richtung wir uns bewegen müssen und welche Schritte unternommen werden müssen, um die derzeitigen Organisationsformen an die Bedürfnisse und vor allem an die Möglichkeiten anzupassen, die sich aus der Realität ergeben. Es ist daher von zentraler Bedeutung für uns, die Rolle und den Zusammenhang zwischen „der Partei“ und der „Autonomie des Proletariats“ zu verstehen, die Zusammensetzung der Protestbewegungen in Bezug auf die aktuelle Organisation der Arbeit und die metropolitane Dimension, die Widersprüche der imperialistischen Phase: Krieg, Faschisierung, Multipolarismus, usw.

Für diese Elemente müssen wir in der kommunistischen Bewegung und in der Klassenlinken im Allgemeinen kämpfen. Wenn wir heute über den imperialistischen metropolitanen Kontext, den Krieg in der Ukraine, sprechen, bedeutet das, dass wir über die „Welt“ sprechen.

Wir können die Schwierigkeiten eines solchen Vorhabens nicht verheimlichen, und wir wissen auch, dass das Ergebnis keineswegs von vornherein feststeht, aber wenn wir uns nicht auf diesen Weg begeben, besteht die Gefahr einer organisatorischen Annäherung, einer bedingten Resonanz, der Möglichkeit, Chancen zu verschenken, die zwar in Reichweite zu sein scheinen, für die wir aber keinen „starken Gedanken“ haben, den wir nutzen können.

Dazu bedarf es eines Ansatzes, der versucht, die Marxsche Dialektik vollständig aufzugreifen, indem er eine Methode anwendet, die es uns ermöglicht, die zugrunde liegenden Tendenzen zu erkennen und über die scheinbaren Phänomene hinauszugehen. Oft entspricht das, was den Anschein macht, nicht dem, was sich wirklich bewegt, weshalb es notwendig ist, aus der Logik des Bedingten herauszutreten und zu versuchen, das Ganze und die Komplexität dessen zu erfassen, was die soziale Wirklichkeit zum Ausdruck bringt. Übertragen auf die Politik bedeutet dies, dass die tatsächlichen Machtverhältnisse nicht immer so sind, wie sie an der Oberfläche erscheinen. Das gilt für Klassen, für Klassenfraktionen, für politische Bewegungen.

Der Imperialismus ist die höchste und letzte Phase des Kapitalismus. Eine Phase, in der Monopol und Konkurrenz dominieren und die Widersprüche immer schärfer werden. Imperialismus bedeutet Krieg, Krieg bedeutet Militarisierung sowohl gegen die verschiedenen Außenfronten, aber vor allem gegen die eigene innere Front (gegen die proletarischen und subalternen Massen des eigenen Landes). Hier nimmt die Konterrevolution die eigentlichen Mechanismen der Revolution vorweg. Hört man auf die Worte der französischen Generäle oder einiger Teile der Ordnungskräfte, die von einem Bürgerkrieg und damit von konterrevolutionären Strategien sprechen, die vor allem in den Banlieues, gegen Demonstrationen und Streiks angewandt werden sollen, so scheint ein revolutionärer Prozess bereits im Gange zu sein, in Wirklichkeit ist es die präventive Fähigkeit der Konterrevolution, die dazu dient, den Zentral- und Knotenpunkt der Staatsmacht aufrecht zu erhalten: wer sollte das Gewaltmonopol haben!

Dies ändert nichts an der Tatsache, dass die imperialistische Phase vielfältig ist und dass es in ihr Momente der Konjunktion geben kann, die mit der Vermittlung von Konflikten verbunden sind, aber man muss immer den vorübergehenden Kontext solcher Momente berücksichtigen. Die Bourgeoisie wendet in all ihren Fraktionen, mit unterschiedlichen Phasen und Intensitäten, immer Zwang und Gewalt an, was sich ändert, ist nur ihr Zustand, von „potentiell“ zu „kinetisch“. Die demokratische Form ist Klassenkollaboration in Worten (der Mythos der Partizipation, Referenden usw.), der „Faschismus“ ist Klassenkollaboration in der Tat (die populistischen Massenbewegungen), aber beide drücken letztlich die Dimension der Diktatur und des Gewaltmonopols der imperialistischen Bourgeoisie aus.

Um diese Passagen besser zu verstehen, muss man als Schlüssel zu ihrem Verständnis die Analyse des Zusammenspiels und der gegenseitigen Durchdringung konterrevolutionärer Strategien auf globaler Ebene heranziehen und den falschen Gegensatz zwischen „Eurozentrismus“ und „terzomondismo“ überwinden. Verstehen, welche Fraktionen der Bourgeoisie die aktuellen Kommandomechanismen übernehmen, nicht um eine Seite zu retten, sondern um stets die Fähigkeit zu haben, den Feind dialektisch zu analysieren und so die wirklichen Machtverhältnisse und Konflikte zu erfassen. In diesem Sinne bleibt das Handeln in Frankreich, die Konfrontation und der Kampf gegen den französischen Imperialismus und seine Bourgeoisie die erste unserer strategischen Aufgaben. Nur so können wir die gegenwärtige Klassenzusammensetzung in den städtischen Ballungsgebieten und die Direktiven der Mehrheitssektoren der französischen Bourgeoisie gegenüber ihrer „Heimatfront“ verstehen.

Frankreich wurde in den letzten Jahren von verschiedenen Protestbewegungen mit unterschiedlichen Formen, Inhalten und sozialen Zusammensetzung  durchzogen, die jeweils den mangelnden innenpolitischen Rückhalt der wichtigsten Teile der Bourgeoisie und ihre Unfähigkeit, große Teile der Bevölkerung in ihr Projekt zu „integrieren“, verdeutlichen. Mit anderen Worten: Die „Nationalisierung der Massen“ scheint keine ausgemachte Sache zu sein. Die kritischen Fragen im Inneren werden durch die Krise überlagert, in der sich Frankreich im Hinblick auf seinen Bedeutungsverlust im globalen Wettbewerb befindet. Die immer schnellere Erosion des französischen Einflusses in Afrika ist ein solches Indiz. 

Die Gilets Jaunes waren eine subalterne Protestbewegung mit „populistischen“ Untertönen, an der sich Hunderttausende von Menschen beteiligten, die kurz gesagt als die „globalisierten unteren Schichten“ betrachtet werden können, d. h. der gesamte Teil der „Mittelschicht“, der proletarisiert oder sogar an die Armutsgrenze getrieben wird. Dies ist kein besonders neues Phänomen, da der Kapitalismus in seiner stürmischen Entwicklung stets ganze soziale Blöcke und Sektoren zerstört hat, so dass man in vielerlei Hinsicht mit Sicherheit sagen kann, dass die Zerstörung die einzige kapitalistische Art des Aufbaus ist. Wenn es etwas gibt, das nicht zum Kapitalismus gehört, dann ist es die Aufrechterhaltung des Status quo. Bei jedem seiner Phasensprünge kann er nicht anders, als die Leichen jener sozialen Sektoren zu hinterlassen, die für den neuen Zyklus der Akkumulation zur Last geworden sind. Die Reaktion dieser sozialen Teile war in ganz Europa besonders lebhaft, und es gelang ihnen sogar in gewissem Maße, bestimmte politische Gleichgewichte vorübergehend zu verändern, wie in Griechenland, Italien und Spanien zu beobachten war. Der „Populismus“ hat, trotz der Vielzahl seiner Ausprägungen, einen präzisen sozialen Inhalt und eine Klassencharakterisierung. Wenn wir sagen, dass die „populistische“ soziale Basis die „Globalisierten von unten“ sind, weisen wir auf jene großen sozialen Gruppen hin, die in der gegenwärtigen Entfaltung aller Konsequenzen der „Globalisierung“ eine Erschwernis ihrer Lage und eine Gefahr für ihre eigenen Interessen sehen, und die in der Lage sind, eine Masse von kleinbürgerlichen und volkstümlichen Kräften um sich zu scharen, die von diesem Prozess betroffen und verarmt sind.

Die Versuche einiger Sektoren der proletarischen und revolutionären Linken, in diese Bewegung einzugreifen, waren vielfältig und zuweilen sogar wirksam, wobei sie sich selbst vorwiegend in den engen Grenzen des Protektionismus bewegte, dabei kulturell von der Linken hegemonisiert wurde und es in vielen Fällen gelang, die rechtsextremen Sektoren zu „vertreiben“. Es fehlte jedoch an einer übergreifenden Vision, an einer politischen Projektualität, die über die unmittelbare Logik der Bewegung selbst hinausgeht.

Die Fähigkeit des politischen Subjekts (der revolutionären Organisation, der Partei) besteht darin, in hybriden Situationen zu intervenieren und der „Bewegung“ selbst eine breitere Perspektive zu geben. Die Rolle der Kommunisten besteht nicht nur darin, den Klassenkampf in den Mittelpunkt zu stellen, sondern vor allem seinen politischen Inhalt aufzuzeigen: den Bruch und die Krise der gegenwärtigen Machtstrukturen und alle Formen proletarischer Organisation und Solidarität zu fördern, das Gewaltmonopol in Frage zu stellen, eine proletarische Sichtweise auf die Welt zu haben, d.h. eine kommunistische Perspektive.

Die Gilet Jaunes-Bewegung war keine Revolution und auch kein Aufstand, aber sie war dennoch eine Massenbewegung, die die Widersprüche des Systems „Frankreich“ aufzeigte und verdeutlichte, dass es selbst in den so genannten Mittelschichten einen großen Teil der Bevölkerung gibt, der sich außerhalb des klassischen französischen parlamentarischen Rahmens begreift.

Der unbeholfene Versuch der französischen Gewerkschaften, das politische Vakuum durch Hinterherlaufen der Gilets Jaunes zu kompensieren, trug keine großen Früchte. Im Gegenteil, er hat denselben Teil der proletarischen Linken innerhalb der Gilets Jaunes benachteiligt, weil er die Diskussion in gewerkschaftlich-wirtschaftliche Sphären zurückgeführt und damit die Tragweite der Bewegung selbst beschnitten hat.

Die in den letzten Jahren entstandenen ökologischen Massenbewegungen, die nicht direkt mit den „grünen“ Parteien in Verbindung stehen, stellen eine zumeist jugendliche Variante dieses mit der Globalisierung unzufriedenen und desillusionierten Sektors dar. Die hysterische und paternalistische Reaktion der Regierung und die Gewalt, mit der sie angegriffen wurden, zeigen, wie brüchig das heutige politische System ist, wenn es darum geht, einem großen Teil der jungen (mittleren und oberen) Bildungsgeneration des Landes eine Ideologie der „Zukunft“ anzubieten.

Die ‘Rentenreform’ ist Teil der langsamen, aber fortschreitenden Erosion des Wohlfahrtsstaates, die mit der Krise des sozialdemokratischen Modells in Europa verbunden ist. Dies ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, von denen die wichtigsten mit der Finanzialisierung der Wirtschaft und der Autonomisierung des Kapitals selbst zusammenhängen, d.h. mit einer immer schnelleren Entfaltung des Akkumulationsmechanismus, der in produktive Flexibilität und vertragliche Unsicherheit investiert, und dies alles in einem Kontext des objektiven „atlantischen“ politischen Niedergangs. Dies geht Hand in Hand mit dem Niedergang des Wohlfahrtsstaates als „langsamer“ und veralteter Organismus im Hinblick auf die aktuellen Mechanismen der De-Integration, die mit der reifen imperialistischen Phase, die wir durchlaufen, verbunden sind. Eine immer größere Masse der Bevölkerung lebt am Rande der „Zitadelle“, ist zwar in die Organisation der Arbeit eingebunden und nimmt an der Verwertung des Kapitals teil, aber ihre Rolle wird gemäß dem von Marx theoretisierten Gesetz des zunehmenden Elends immer mehr degradiert. Dieses Subjekt sieht sich mit einer parlamentarischen Politik konfrontiert, die immer „faschistischer“ wird (die Unterschiede zwischen links und rechts werden in Bezug auf die Wirtschaftsgesetze immer geringer), und deshalb keinen Platz findet.

In diesem Zusammenhang werden nicht nur die Mittelschichten proletarisiert, sondern auch die Reserven der Arbeiterklasse und ihrer „Aristokratie“ aufgezehrt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Bewegung gegen die ‘Rentenreform’ in Frankreich Ausdruck einer Protestbewegung ist, die sich durch ganz Europa zieht. In Spanien geht es um das Gesundheitssystem, in Deutschland und England um die Lohnfrage in den „historischen“ Sektoren der Arbeiterbewegung (Energie und Verkehr) usw..

Bei diesen Mobilisierungen stand die Gewerkschaftsbewegung im Mittelpunkt und nur am Rande die „autonomen“ politischen Komponenten, die zu sehr mit der Ästhetik des Kampfes beschäftigt waren als mit dem Kampf selbst. Die so genannten „assemble interlutte“ waren kleine gewerkschaftliche und politische Parlamente (was an sich nichts Schlechtes war), das Problem bestand darin, dass die Positionen, die daraus hervorgingen, noch verworrener waren als die der Gewerkschaftszentralen selbst, da sie sich auf einen „Extremismus“ stützten, der weite Teile der französischen Gesellschaft durchzieht, der aber im Vergleich zu den tatsächlichen Kämpfen leider nur virtuell ist. Darüber hinaus war all dies von einer verzerrten Wahrnehmung der „Hegemonie“ über die französische Gesellschaft begleitet, das Erwachen war offensichtlich schmerzhaft

Die „autonomen“ Komponenten berücksichtigten nicht die wichtigsten sozialen Komponenten, die an diesen Mobilisierungen beteiligt waren: Rentner, Staatsbedienstete (insbesondere Lehrer), Energie- und Transportarbeiter.

Sektoren, in denen der gewerkschaftliche Organisationsgrad immer noch hoch ist, die aber auch eine starke korporative Dimension und eine „soziale und kulturelle Arroganz“ aufweisen, die dazu führt, dass sie weit von der Masse der neuen prekär Beschäftigten entfernt sind. Dies ist nach wie vor eine der wichtigsten „Achillesfersen“ der derzeitigen Gewerkschaftsbünde.

Schließlich kam es zu den Ausschreitungen, die nach einem weiteren Polizeimord an einem jungen Franzosen algerischer Herkunft begannen. Die Bilder in den sozialen Medien machten die Hinrichtung im Schnellverfahren sichtbar und entfachten die Wut und den berechtigten Rachedurst breiter Schichten junger und sehr junger Menschen aus den Vorstädten (Franzosen und andere), die einmal mehr die rassistischen und arbeiterfeindlichen Methoden der Polizei am Werk sahen.

Die fünf Tage der Ausschreitungen übertrafen die 15 Tage von 2005 an Gewalttätigkeit. Vergleicht man die Zahl der betroffenen öffentlichen Gebäude und der beteiligten Polizeikräfte, so scheint es sich 2005 um einen ruhigen Protest gehandelt zu haben….. Außerdem waren dieses Mal Personen, Politiker und Gefängnisse die physischen Ziele. Die Proteste erstreckten sich über ganz Frankreich und betrafen auch Städte wie Marseille, die traditionell nicht von Krawallen betroffen sind, weil sie stark gewerkschaftlich geprägt sind und teilweise unter der strengen Kontrolle des organisierten Verbrechens stehen.

Das Thema, um das es ging, nämlich meist sehr junge Menschen, brachte alle in eine unangenehme Situation. Die Regierung begann, die „Familie“ anzugreifen, die Rechten sprachen von Bürgerkrieg, die gemäßigten und extremen Linken konnten die „barbarische“ Gewalt nicht ertragen (sie zündeten sogar Halal-Metzgereien an …). Die antirassistischen Vereinigungen erlebten diese nicht angekündigte (und daher hochpolitische!) Gewalt mit Frustration.

Darüber hinaus gibt es einen Generationseffekt (die Jugendlichen von damals sind die Erwachsenen von heute…), diejenigen, die das Jahr 2005 miterlebt haben, blicken heute mit Sorge auf den aktuellen Aufstand, denn er ist viel gewalttätiger, brutaler, aber auch objektiv gesehen ohne politische und organisatorische Planung und, zumindest soweit wir sehen können, unfähig, sich in eine wirksame politische Machtausübung zu verwandeln (die Abgrenzung eines Dualismus der Macht durch die Bildung von „proletarischen Instituten“), die in der Lage ist, das, was auf irgendeine Weise „militärisch“ durchgesetzt wurde, politisch zu verwirklichen. Dieser Aspekt ist besonders in den „Nachbarschaften“ zu spüren, was im völligen Gegensatz zu dem, was gewöhnlich über diese Welten gesagt und geschrieben wird, zeigt, wie viel „Durst nach Politik“ die Arbeiter und Proletarier haben. Mit anderen Worten, wo die meisten Wut, Nihilismus, Verzweiflung, Frustration und Ressentiments sehen, sehen wir eine politische Forderung, die wir in aller Bescheidenheit und ohne jegliche Bevormundung zu erfüllen versuchen werden.

Wir sind keine Soziologen, aber es ist klar, dass sich ein Teil des so genannten desintegrierten Proletariats bewegt hat, das Proletariat ohne Reserven, das nur Ketten zu zerstören hat. Angesichts dieser Explosion proletarischer Gewalt ist es sinnlos zu sagen, dass die Polizei scheiße ist, oder zu sagen, dass die Jugend der Vorstädte der hauptsächliche Teil des neuen Arbeitersubjekts und des Proletariats ist… jeder weiß das sehr gut, aber das Problem ist nicht das, sondern die ganze Macht, die im neuen Arbeitersubjekt liegt, in eine politisch-militärische Kraft zu verwandeln!

Die Diskussion über die „Demokratisierung der Polizei“ ist von einem liberalen Ansatz geprägt, der wenig mit den aktuellen Kräfteverhältnissen zwischen den Klassen zu tun hat. Es ist „liberal“, daran zu denken, die Polizei kulturell zu verändern. Die Polizei verändert sich nur im Rahmen eines Mechanismus, der mit den Machtverhältnissen zusammenhängt: 1) die stärkere Durchdringung der Polizei mit Kommunisten 2) die Formen der Selbstverteidigung und der proletarischen Organisation in den Vorstädten.

Wenn wir in Bezug auf den ersten Punkt glauben, dass es heute nicht möglich ist, zu intervenieren, angesichts des Grades an Infantilismus und Chauvinismus, den man in der Linken atmet, so glauben wir in Bezug auf den zweiten Punkt, dass es möglich ist, die militante und politische Arbeit in den Vororten fortzusetzen, durch vielfältige Strukturen: von den Gewerkschaften bis zu den Sportvereinen, von den Nachbarschaftskomitees bis zu den Kulturvereinen usw.

Die Polizei ist keine neutrale Institution, sie ist eine Organisation zur Verteidigung des Gewalt- und Machtmonopols der Bourgeoisie, was aber nicht bedeutet, dass man nicht Widersprüche und Risse zwischen Fraktionen der Bourgeoisie ausnutzen kann, um einen proletarischen Standpunkt durchzusetzen. Nach den gewalttätigen Ausschreitungen war die Regierung gezwungen, Kritik am Vorgehen der Polizei zu üben. Dadurch entstand eine Kluft, die zu beispiellosen Formen des Protests von Polizeiverbänden durch organisierte „Krankenstände“ führte.

In den letzten Monaten hat die Regierung einen weiteren Krieg gegen Arbeitslose und prekär Beschäftigte entfesselt,gegen diejenigen, die im Rahmen des Põle Emploi (franz. Arbeitsamt, d.Ü.) von RSA und Arbeitslosigkeit betroffen sind, oder ganz einfach gegen Arbeitnehmer, die sich krankschreiben lassen. Wir sind Zeugen eines noch nie dagewesenen Kurzschlusses, wenn dieselben Polizisten die von der Regierung und den Bossen so geschmähten „illegalen“ Formulare verwenden.

Es ist jedem klar, dass es sich bei den Gewerkschaften, die diese Formen des Kampfes innerhalb der Polizei fördern, um „rechte“ Organisationen handelt, die eine noch größere Straffreiheit für die Polizei anstreben, aber sie stellen einen Riss zwischen dem politischen Zentrum der Regierung und den Kontrollstrukturen selbst dar und sind auch ein nicht unbedeutender Indikator dafür, wie innerhalb der Krise die soziale Polarisierung, sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite, Massenbewegungen skizziert, die mit den offiziellen politischen Gremien kaum etwas zu tun haben. Dies gilt umso mehr im aktuellen Kontext, in dem die politischen Parteien jeglicher Art jegliche Massendimension und Artikulation aufgegeben haben und zu bloßen „Wahlkomitees“ geworden sind, deren Existenz sich ausschließlich auf der virtuellen Ebene abspielt. Was heute in Frankreich geschieht, ist ein Beweis dafür, dass wir gerade bei dreihundertsechzig Gradwendung eine neue Zeit des „Protagonismus der Massen“ erleben. Die Tatsache zu ignorieren, dass es in diesem Szenario gar nicht so unwahrscheinlich ist, dass wir es mit neuen „freien Körpern“ zu tun haben werden, ist nicht nur dumm, sondern selbstmörderisch.

Die verschiedenen sozialen Subjekte, die die drei „Mobilisierungen“ (Gilets Jaunes, Renten, Riots) ins Leben gerufen haben, hatten keine wirkliche Chance, sich zu „vereinen“ und vor allem zu gewinnen, da sie nicht über die Grenzen hinausgehen konnten, zu denen sie aufgrund der unterschiedlichen Klassenzusammensetzung gezwungen waren, und außerdem standen sie den verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie gegenüber, die sich in der Krise befanden, aber immer noch dynamisch und reaktionsfähig waren. Die Kommunisten und die proletarische Linke müssten sicherlich aktiver und dynamischer sein, aber die Mauern, die diese sozialen Sektoren trennen, können nicht durch Willensakte oder bloßes Wunschdenken überwunden werden.

Wenn wir von Krise sprechen, dürfen wir niemals in ein einfaches „Extrem“ verfallen, das uns glauben lässt, dass es nur wenig braucht, um die Mauer zum Einsturz zu bringen.

Wir müssen den revolutionären Prozess als eine Verflechtung von subjektiven und objektiven Faktoren betrachten.

Zu den subjektiven Faktoren gehören das Vorhandensein einer revolutionären Organisation und die Entfaltung der proletarischen Autonomie. Die revolutionäre Organisation (die Partei) als politische Kraft, die dem metropolitanen und imperialistischen Kontext angemessen ist (und alle friedlichen und gewaltsamen, legalen und illegalen Formen umfasst). Die proletarische Autonomie, d. h. die Organisation und Solidarität (Gewerkschaften, Kollektive usw.), vom Arbeitsplatz bis zum Territorium, und die Manifestation der eigenen Stärke.

Der objektive Kontext weist mehrere Faktoren auf: die Schwäche der gegnerischen Verteidigungsstruktur (Krise des Staates), ein immer härterer Kampf zwischen Teilen der Bourgeoisie und einem großen Teil der Bevölkerung (nicht ausschließlich des Proletariats, aber natürlich mit ihm im Zentrum), der sich immer mehr von den Integrationsmechanismen der bürgerlichen Politik abkoppelt, und zwar nicht so sehr aus eigenem revolutionären Willen, sondern aus der Notwendigkeit heraus, dass dieser Teil die von der Bourgeoisie vorgeschlagenen Optionen nicht mehr mitmachen kann.

Das militärische Lexikon und die Konzepte des Krieges wieder in den Mittelpunkt zu stellen, bedeutet nicht nur, das Terrain der Gewalt zu akzeptieren, sondern ein eigenes spezifisches Programm auf dem militärischen Terrain zu haben. Strategie, Taktik sind heute Begriffe, die weit entfernt sind vom aktuellen linken Lexikon. Jedes Projekt der „sozialen Revolution“ muss jedoch die Frage der bewaffneten Konfrontation mit den Kräften der Macht und der Reaktion vorwegnehmen. Revolutionäre Organisationen, die sich weigern, eine militärische Politik auszuarbeiten, bevor die Frage der Konfrontation praktisch gestellt ist, disqualifizieren sich selbst, sie verhalten sich als Defätisten der Revolution oder als Zulieferer zukünftiger Gefangener und Friedhöfe von Opfern.

Ohne Praxis und Theorie gibt es keine revolutionäre Partei, aber ohne Krise gibt es auch keinen revolutionären Versuch.

Heute sind diese Bedingungen nur teilweise gegeben. Dies sollte uns nicht entmutigen, sondern uns zu verstehen geben, worauf wir unsere Anstrengungen und Energien konzentrieren müssen.

Franz Mehring, der wichtigste und genaueste Biograph von Marx, schrieb über das Manifest der Kommunistischen Partei: „Die geschichtliche Entwicklung verlief in mancher Hinsicht anders und vor allem langsamer, als ihre Verfasser annahmen. Je weiter ihr Blick nach vorn ging, desto näher schienen die Dinge zu liegen. Man kann sagen, dass es ohne diese Schatten kein Licht geben kann. Es ist ein Phänomen, das schon Lessing bei Menschen bemerkt hat, die – Blicke in die Zukunft – werfen, – das, wofür die Natur Jahrtausende braucht, muss in dem kurzen Augenblick ihrer Existenz gemessen werden -. Nun haben sich Marx und Engels nicht um Jahrtausende geirrt, aber doch um einige Jahrzehnte“.

Die vierte Ausgabe von Supernova befasst sich mit dem Imperialismus und den Konflikten, die er an den inneren und äußeren Fronten hervorbringt. Die Göttin Athene, die Göttin des Krieges, ist auf die Erde herabgestiegen, als die kleinen Leute während der Riots ihren Namen auf Tiktok schrien. (1) Konflikte zwingen uns zu direkteren Aktionen und Analysen. Es reicht nicht aus, antiimperialistisch zu sein und sich mit den Kämpfenden zu solidarisieren, wir müssen die Autonomie der Kommunisten wieder in den Mittelpunkt stellen, denn ohne eine Klassenperspektive, einen proletarischen Standpunkt, bleiben wir gegenüber unseren Feinden unbewaffnet und ihrer Ideologie und Perspektive unterworfen.

  1. Sie bezogen sich auf Romain Gavras Film Athena aus dem Jahr 2022, der von städtischen Unruhen in Frankreich handelt. Der sicherlich prophetische Film wird jedoch in den letzten Minuten durch ein unhaltbares filmisches Gimmick ruiniert, das mit einer Verschwörungstheorie verbunden ist, die die Polizisten entlastet…

Dieser Text erschien zuerst im Sommer 2023 auf französisch auf ‘Supernova’ und dann am 4. August 2023 in der italienischen Version auf Carmilla Online. Diese Übersetzung von Bonustracks erfolgte aus der italienischen Version. Die Videos wurden von Bonustracks eingefügt. 

Exkurs über den Schnittpunkt

Freddy GOMEZ

In der Epoche einer alten Zeit, die man modern nannte, und im Schlepptau eines 68, das bereits datiert war, traten wir in eine ewige Gegenwart ein, die nicht aufhören wird, neue Aporien zu gebären, die in den Augen derer, die in den Sphären einer sich formierenden Neokultur daran glauben wollten, um in ihrer Zeit dazuzugehören, scheinbar begeisternd sind. Die Postmoderne, eine Theorie, die ihre Entstehung auf eine unendliche Anzahl von Enden gründete – der großen Erzählungen, des Marxismus, des Klassenkampfs, des Universalismus, der Aufklärung usw. – führte letztendlich, nachdem sie sich der alten humanistischen Bärte einer als vorbei erklärten Epoche entledigt hatte, zu nichts anderem als zu einer Vereinnahmung des akademischen Neo-Wissens. Im Klartext: Der postmoderne Appetit auf „Enden“ hatte eines davon vergessen, nämlich das der Universität, die wir als Studenten in der Zeit der erlebten Hoffnungen eines unzeitgemäßen Frühlings nicht zu Unrecht so sehr gefordert hatten. Ihre Vereinnahmung im Namen des 68er-Ereignisses war in der Tat die Hauptkampfhandlung der dekonstruierten Neo-Mandarinen einer heranwachsenden Generation, die sich mit dem Nichts ihrer Episteme auseinandersetzte.

Natürlich gab es Widerstand, vor allem in den militanten Milieus, der aber nicht immer von den besten Absichten inspiriert war. Denn wenn 68 einen positiven Effekt hatte, so ist nicht zu bestreiten, dass dies aufgrund der Fragen, das es aufwarf, und der Zweifel, das es über die beste – oder am wenigsten schlechte – Art und Weise offenbarte, die Artikulation der Kämpfe für die Emanzipation neu zu überdenken, der Fall war. In diesem Zusammenhang waren die Rückkehr zur alten Sache und zu den Kräften, die sie zu verkörpern vorgaben, die Flucht in den alten Fundus einer verlorenen Vergangenheit und das Festhalten an alten, hinfällig gewordenen Wahrheiten nicht nur kontraproduktiv, sondern wurde auch leicht von den neuen Meistern eines Wissens weggefegt, das perfekt zu einer Epoche passte, die das Vergessen der objektiven Bedingungen der Ausbeutung und die Überbewertung der Subjektivität theoretisierte.

Wenn ich diesen Paradigmenwechsel auf das Ende der 1970er Jahre datiere, dann deshalb, weil in meinem Kopf die Erinnerung an diese Epoche jedes Mal zurückkehrt, wenn eine vermeintlich scheinbar innovative konzeptionelle Neuerung – die meist von jenseits des Atlantiks kommt – das bewässert, was ich der Einfachheit halber als die linke kulturelle-gesellschaftliche Sphäre bezeichnen möchte, die sich, oft ohne es zu wissen, stark vom „Denken der 68er“ und den Dekonstruktionen mit Langzeitwirkung, die sie förderte, inspirieren lässt.

Im Gegensatz zu dem, was die Reaktionäre von heute denken, wenn sie überhaupt denken, waren die „ungemischten“ Treffen des Feminismus der 1970er Jahre weder der Ursprung der Intersektionalität, noch waren sie Teil eines selbstzentrierten, ja sogar ausgrenzenden Politikverständnisses. Diese Praxis entstand aus der einfachen Beobachtung, dass in einigen Fällen die Sprache unter Frauen flüssiger wurde, um über ihre spezifischen Erfahrungen mit Dominanz und insbesondere Vergewaltigung zu sprechen. Ich sehe darin einen Beweis dafür, dass hinter dem Aufkommen der Subjektivitäten der Epoche das „68er-Denken“, das an seinen Rändern die Epoche bewässerte, nicht ohne eine gewisse moralische Vision des politischen Kampfes war. Zum Besseren, aber auch zum Schlechteren, als sie sich mit der Zeit entpolitisierte, um sich den Kategorien, Punzierungen und Moralvorstellungen der triumphierenden Postmoderne anzuschließen, deren Hauptmerkmal darin bestand, die pluralen Subjektivitäten gegen das auszuspielen, was Gemeinsamkeiten schaffen konnte. Ein Gemeinsames, so muss man sagen, das übrigens in keiner Weise in die Kategorien dieses akademischen Neo-Wissens passte, das aus den Trümmern des Marxismus zusammengebastelt worden war, zumal es voraussetzte, dialektisch gedacht zu werden, ausgehend von geteilten, ja sogar kombinierten Erfahrungen, von vielfältigen Herrschaften, aber in einer Perspektive der Emanzipation für jeden Einzelnen.

Wenn es ein Problem mit dem Konzept der Intersektionalität gibt, dann ist es, dass es letztendlich das Gegenteil von dem ausdrückt, was es zu bedeuten vorgibt, nämlich dass, da Herrschaft einen vielfältigen Charakter hat, der Widerstand gegen ihre verschiedenen Formen eine Verbindung, ja sogar eine nicht-hierarchische Überschneidung der verschiedenen Fronten des Widerstands erfordert, die sie um die Fragen der Klassenausbeutung, des Feminismus, der sexuellen Orientierung und des Antirassismus herum inspiriert hat. Es stimmt, dass der Begriff der Intersektionalität, der in den USA entstanden ist, wo er Ende der 1980er Jahre von der afroamerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw konzipiert und theoretisiert wurde, in Frankreich und weit darüber hinaus in der Wahrnehmung und im Aufbau der Kämpfe gegen „die Diskriminierung“ zentral geworden zu sein scheint, sehr direkt von der US-amerikanischen Kultur und ihrer Fähigkeit, sich unverändert zu exportieren, geprägt ist, was nicht ohne Auswirkungen auf den Empfänger oder die Empfängerin bleibt, der oder die in der Regel die Warnungen ignoriert, die er in den Vereinigten Staaten selbst hervorgerufen hat, insbesondere hinsichtlich seiner Fixierung auf die alleinigen Kategorien „Rasse“, „Geschlecht“ und „sexuelle Minderheiten“. Dies war beispielsweise der Fall bei der Wissenschaftlerin Ashley J. Bohrer, Autorin von Marxism and Intersectionnality (2019), die zwar das Konzept der Intersektionalität verteidigte, aber vor bestimmten reduktionistischen Versuchungen warnte, die „Rasse“ und „Geschlecht“ über die „Klasse“ stellten. Es ist anzunehmen, dass Kimberlé Crenshaw dies berücksichtigt hat, als sie am 20. Februar 2020 im Time Magazine erklärte: „Es hat eine Verzerrung [dieses Konzepts] gegeben. Es geht nicht um Identitätspolitik in steroidaler Form. [Intersektionalität] ist keine Maschine, die weiße Männer zu den neuen Parias macht.“

Die Umkehrung kommt von dort, von dieser Überbewertung der „Rasse“ und des „Geschlechts“ auf Kosten der „Klasse“. Man könnte sagen, dass die Intersektionalität auf dem amerikanischen Campus entstanden ist und es daher nicht anders sein kann [1], aber das wäre zu kurz gegriffen, denn wir müssen feststellen, dass derselbe Reduktionismus auch in Frankreich im Schnittpunkt von „Rasse“ und „Geschlecht“ (aber ohne die „Klasse“) funktioniert. So gedeiht dort ein „dekolonialer Feminismus“ (aber kein „Klassenkampf“ – den gab es zwar, aber er scheint mittlerweile in der Versenkung der Geschichte verschwunden zu sein). Und auch kein „Klassen-Antirassismus“, „dekolonialer Klassenkampf“ oder „Klassen-Dekolonialismus“ [2]. Dieser Wille zur Marginalisierung des Klassenbegriffs ist langfristig in der postmodern beeinflussten gesellschaftlichen Linken angesiedelt, in einer klaren Perspektive der Neukodierung des Kampfes für die Emanzipation allein ausgehend von den „beherrschten Identitäten“ und durch eine „Ausklammerung der Diskussion“ – wie Bourdieu sagte – der Frage der „Klasse“, die es ermöglicht zu verstehen, dass man, um beherrscht zu werden, nicht auf die gleiche Weise beherrscht wird, je nachdem, ob man von hier oder von dort kommt. 

Es ist übrigens diese banale Wahrheit, die erklärt, warum eine so radikal emanzipatorische Bewegung wie die der Gelbwesten, in der Frauen eine äußerst wichtige Rolle spielten, so wenig Echo, geschweige denn Solidarität, auf der linken Seite der gesellschaftlichen Sphäre hervorrief, obwohl die besetzten Kreisverkehre in gewisser Hinsicht die erträumten Kreuzungen der Intersektionalität waren.

In einem Artikel über Intersektionalität, der 2020 in der Zeitschrift Pouvoirs veröffentlicht wurde, fragte sich der Forscher Alexandre Jaunait, ob dieses Konzept nicht „in erster Linie der Name eines Problems und nicht einer Lösung“ [3] sei, wobei er sich im Rahmen dieser Studie auf die Arbeiten der Feministin, Arbeitssoziologin und Materialistin Danièle Kergoat bezog, und insbesondere auf ihren Begriff der „Konsubstantialität“ (der sozialen Beziehungen) [4], der in erster Linie darauf abzielte, die Schlüsselelemente des Marxschen Erbes wieder aufzugreifen, anstatt auf der postmodernen Welle zu reiten, die diese in der Logorrhoe ihrer Spekulationen und Begriffsakrobatik aufzulösen suchte.

Das Konzept der „Konsubstantialität“, das seit den späten 1970er Jahren, also lange bevor man von Intersektionalität sprach, entwickelt wurde und „im Grunde genommen” aus dem theologischen Fundus stammte, wie Kergoat sagt, hatte den Vorteil, “das Gleiche und das Verschiedene in einer einzigen Bewegung zu denken“, um die Unterdrückung zu artikulieren, in einem ersten Schritt die mit „Klasse“ und „Geschlecht“ verbundenen Herrschaften, dann die mit „Geschlecht“ (später „Gender“) und „Rasse“ und „Rassismus“ verbundenen Herrschaften, in einem zweiten Schritt, beginnend mit dem Marsch für die Gleichheit von 1983 für das, was Frankreich betrifft. In allen Fällen wird dem Konzept der „politischen Subjekte“ der Vorzug vor dem Konzept der „Identität(en)“ gegeben. In dieser „konsubstantiellen“ Perspektive ermöglicht die Untrennbarkeit der Machtverhältnisse die Überwindung der Logik, die Kämpfe um Emanzipation gegeneinander auszuspielen. „Elsa Galerand und Danièle Kergoat geben etwas entmutigt an, dass uns die Klasse in intersektionalen Analysen zu oft vergessen scheint. […] Auf jeden Fall scheint die Frage, welchen Platz man ihr einräumen soll (die in den 1970er Jahren im Mittelpunkt der feministischen Auseinandersetzung stand), nicht ganz geklärt zu sein, da sie sich mit der Frage, wie die postmoderne Kritik an die Kapitalismuskritik anknüpfen soll, erneut und frisch stellt.“ Das ist keine leichte Aufgabe, wenn man dem Rahmen der Cultural Studies und der French Theory, den belehrenden Reden der Campus-Stars und ihren Mikroerzählungen, in denen die Denunziation eines abstrakten Universalismus Vorrang vor der Denunziation der konkreten Ware hat, verhaftet oder geradezu unterworfen bleibt.

Wenn die Warenwirtschaft und die Kommerzialisierung der Welt im Alleingang das formen, was den Universalismus unserer Zeit ausmacht, ist die einzige wirklich existierende Gemeinschaft die des Kapitals. Als Gegenreaktion darauf wächst die Sehnsucht nach einer Neuverwurzelung in geschlossenen Formen von Gemeinschaften oder Identitäten, die sich in fantasievoller Weise auf exklusive und ausgrenzende Zwischenwelten berufen. All dies sind Sackgassen, die das Kapital in seinem ständigen Drang nach Zerstückelung und Trennung aufrechterhält. Vor diesem Hintergrund haben sich postmoderne Theorien und die von ihnen hervorgerufenen Identitätsbestrebungen nach und nach in Gesellschaften durchgesetzt, die von der Auflösung emanzipatorischer politischer Kulturen und des gemeinsamen Wertesystems geprägt waren, das sie an der Schnittstelle von Ausbeutung und Herrschaft aufgebaut hatten.

Anmerkungen

[1] Bevor der Begriff “race” zu einem sozialwissenschaftlichen „Konzept“ wurde, bezeichnete er in den Vereinigten Staaten – und das seit 1790, was nicht wenig ist – eine administrative Kategorie, einen Indikator des Census Büro, wo man sich immer noch rassisch definieren muss, aber nun mit der Möglichkeit, wie bei seinem Geschlecht, die „Rasse“ seiner Wahl anzugeben. Um sich zu behaupten, ist die staatliche Anordnung in der Lage, sich zu bewegen. Es wäre besser gewesen, für die Abschaffung dieser Rassenkartei zu kämpfen, als sie für den Ausdruck der Subjektivierten zu öffnen.

[2] Um die Beispiele vergessener Schnittpunkte aufzugreifen, die von Florian Gulli aufgezeigt wurden, dessen BuchLes errements de l’intersectionnalité, online auf der LVSL-Website, mit Interesse gelesen werden kann, ebenso wie sein neuestes Werk: L’Antiracisme trahi, défense de l’universel (Der verratene Antirassismus, Verteidigung des Universellen), Presses universitaires de France, 2022.

[3] Pouvoirs, Nr. 173, 2020, S. 15-25. Online einsehbar ist dieser Artikel – „Intersection: le nom d’un problème“ – hier.

[4] Siehe: Elsa Galerand und Danièle Kergoat, „Consubstantialité vs intersectionalité? À propos de l’imbrication des rapports sociaux“ (Über die Verflechtung sozialer Beziehungen). Nouvelles pratiques sociales, vol. 26, Nummer 2, S. 44-61, 2014. Artikel hier verfügbar

Erschienen am 18. November 2024 auf A contretemps, ins Deutsche übersetzt von Bonustracks.