Joshua Clover über Riots, Krise und Gefängnisse

Am 24. April 2025 ist Joshua Clover mit gerade einmal 62 Jahren gestorben. Bonustracks verneigt sich vor dem Autor von RIOT.STRIKE.RIOT mit der Übersetzung der Transkription des folgenden Interviews aus dem Jahre 2018 mit ‘Rustbelt Abolition Radio’.  

Maria: Hier ist Maria und Sie hören Rustbelt Abolition Radio, ein abolitionistisches Medien- und Bewegungsprojekt mit Sitz in Detroit, Michigan. Joshua Clover ist Professor für Literatur und kritische Theorie an der University of California Davis und Autor von ‘Riot.Strike.Riot’, und heute ist er bei Alejo und mir in Buenos Aires, um über Rebellion und Inhaftierung im Zusammenhang mit der wiederkehrenden Krise von Staat und Kapital zu sprechen. Willkommen, Joshua, und danke, dass Du bei uns bist.

Joshua Clover: Danke, dass ich dabei sein darf.

Maria: Wir beginnen unsere Episoden oft mit einer eher biografischen Note. Deine akademische Ausbildung ist in Poesie, richtig?

Joshua Clover: Wenn ich eine akademische Ausbildung habe, dann in der Poesie, ja!

Maria: Ok, man könnte also sagen, dass es auch in den Riots eine gewisse Poesie gibt, eine gewisse Kraft der Schöpfung, die auch eine gewisse Kraft der Zerstörung bedeutet. Kannst du uns ein wenig über die Umstände erzählen, die ein Dichter vorfindet, wenn er ein Buch darüber schreibt?

Joshua Clover: Ich könnte bestimmt die ganzen 25 Minuten auf diese Frage eingehen, aber ich werde versuchen, es nicht zu tun. Das erste, was ich sagen möchte, ist: Ich werde meine leicht mürrischen historischen Gedanken äußern, nämlich, dass es den Leuten heute seltsam vorkommt, besonders in den Vereinigten Staaten, wo es eine Vorstellung von Dichtern gibt, die ziemlich abwegig ist. Warum sollte ein Dichter überhaupt über diese Themen schreiben? Wenn man ins 19. Jahrhundert zurückgeht, ein schönes Jahrhundert, nicht das beste Jahrhundert, aber es war okay…. Jeder bedeutende politische Ökonom hat ein Buch mit Gedichten veröffentlicht. Marx veröffentlichte ein Buch mit Gedichten. Mill veröffentlichte ein Buch mit Gedichten. Samuel Bailey, der gewissermaßen der Stammvater der marginalistischen Ökonomie war, hat ein Buch mit Gedichten veröffentlicht. 

Die Verbindung von Poesie und politischer Ökonomie, von Poesie und dieser Art von Sozialwissenschaften ist eigentlich ganz normal. Erst im 20. Jahrhundert und nur an bestimmten Orten in der Welt wird diese Verbindung aufgelöst. In gewissem Sinne tue ich also etwas ganz Alltägliches, das sich nur an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit seltsam anfühlt. Trotzdem bin ich an diesem Ort und in dieser Zeit. Ich kann also verstehen, dass es seltsam erscheint. Jedenfalls für mich als jemand, der Gedichte geschrieben hat, der Gedichte schreibt und der über Gedichte schreibt. Ich glaube, ich bin in eine Art Gewissenskrise geraten. Ich glaubte, glaube ich, an eine recht liberale Auffassung davon, was Literatur für die Welt tun und wie sie die Herzen und Köpfe der Menschen verändern könnte. Gleichzeitig versuchte ich, das historisch-materialistische Projekt ernst zu nehmen, das dem Vorrang von Ideen und materiellen Beziehungen vielleicht etwas skeptischer gegenübersteht. Und ich stieß an diese Grenze. Das schwebte also in der Luft. Ich habe meine eigenen Studien über Marx, über marxistische Studien und über politische Ökonomie in einem ziemlich ehrgeizigen Sinne fortgesetzt, so weit ich konnte. Außerdem habe ich einen Bachelor-Abschluss in Naturwissenschaften. Ich bin also an der Formalisierung des Ganzen interessiert. All diese Dinge geschahen also zur Zeit der Wirtschaftskrise 2008 in den Vereinigten Staaten. 

Und ich beschloss, dass ich wirklich verstehen wollte, wie Finanzen funktionieren. Und zwar aus der bürgerlichen Perspektive, was das für Dinge sind, über die die Leute reden. Und so stürzte ich mich in das Studium dieser Themen. Nicht so sehr als Dichter, sondern als Mensch. Und nebenbei setzte ich mein Studium der Poesie fort. Und dann, während diese Dinge geschahen, begannen diese verschiedenen Ereignisse in der Bay Area, wo ich lebe, stattzufinden. Im Jahr 2009 gab es in Oakland und Berkeley eine Menge Ausschreitungen. Im Jahr 2011 gab es Occupy Oakland, die Hafenblockade und andere Dinge. Das sind also die Kontexte, in denen ich versucht habe, meine Studien zu Werttheorien anzuwenden – nicht auf abstrakte Bewusstseinsstrukturen, sondern auf die praktischen Aktivitäten der Menschen auf der Straße. So bin ich also zu einer Person geworden, die über Riots schreibt.

Maria: In den Vereinigten Staaten wird das Wort „Riot“ oft abwertend für verwerfliche Aktivitäten verwendet. So bestehen selbst „linke“ Genossinnen und Genossen darauf, dass die Detroiter Unruhen von 1967 stattdessen als „Rebellion“ bezeichnet werden, da „Riot“ das Wort ist, das der Staat verwendet, um den politischen Charakter der Unruhen zu untergraben. Du hingegen stellst fest, dass der „Riot“ ein Terrain des Kampfes ist. Wir sollten das Wort nicht dem Staat überlassen, um es für uns zu definieren. Kannst du uns sagen, warum diese Unterscheidung deiner Meinung nach so wichtig ist?

Joshua Clover: Ich bin mir nicht sicher, ob es eine wichtige Frage ist, hah..! Was ich damit sagen will: Ich denke, wenn die Leute das, was sie getan haben, als Rebellion oder Aufstand bezeichnen wollen, ist es sicherlich nicht meine Aufgabe, sie aufzuhalten oder ihnen zu widersprechen. In gewisser Weise möchte ich keine Debatte mit ihnen führen. Sie machen bereits ihr Ding. Ich möchte eine Debatte mit den Leuten führen, die den Begriff als pejorativ behandeln oder den Riot vom Politischen ausschließen. Aus der Perspektive des Staates sind Riots also einfach nur schlecht, ungeordnet, böse, verderblich, zerstörerisch. Und aus der Perspektive der traditionellen Linken sind sie auch eine Art Außenposten der Politik. Sie sind spontan. Sie sind nur momentane Reaktionen auf vorübergehende Stimuli. Und ich wollte mit beiden Positionen gleichzeitig argumentieren, um zu sagen: Nun gut, ich akzeptiere, dass es diese Sache gibt, die ihr Riot nennt. Versuchen wir zu verstehen, was es wirklich ist, welche Zusammenhänge es gibt, wie es funktioniert, warum wir es an manchen Orten und zu manchen Zeiten häufiger sehen als an anderen, und versuchen wir, es in seiner Gesamtheit zu erfassen, auch wenn wir zugeben, dass es dieses Phänomen gibt, auf das wir uns beide einigen können. Für mich war das also ein wichtiges Projekt. Es ging darum, nicht das Wort, sondern die Konzepte, die diesem Wort zugrunde liegen, vom Staat und von der orthodoxen Linken zurückzuerobern. 

Aber damit will ich gleichzeitig sagen: Ja, beides ist richtig. Die Sache, die Sie als Riot bezeichnen, und die Leute, die es einen Aufstand nennen, haben beide Recht. Aber es geht nicht darum, das richtige Wort zu wählen, sondern zu sehen, was das Phänomen ist, das diese beiden Begriffe bezeichnen können.

Alejo Stark: Ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass dein Buch „Riot.Strike.Riot” der Versuch ist, eine „Theorie“ zeitgenössischer Riots – wie in Ferguson 2014 und Baltimore 2015 – vorzuschlagen, die sich auf die wiederkehrenden Krisen des Kapitals bezieht. Ein Schlüsselkonzept, das du von Marx übernommen hast und das dir erlaubt, die Beziehung zwischen Krise und Riots zu denken, ist das der relativen Surplus Bevölkerung. Wir können jedoch nicht über zeitgenössische Riots nachdenken, ohne an Ethnie zu denken. Du sprichst also speziell über rassifizierte Surplus Bevölkerungen. Kannst du uns mehr über die Bedeutung dieses Konzepts für das Nachdenken über zeitgenössische Kämpfe erzählen?

Joshua Clover: Ja, das ist wirklich grundlegend, und es ist ein Weg, gleichzeitig zu versuchen, über eine verwirrende Erscheinung hinwegzukommen, ohne die Sache aufzugeben, die diese Erscheinung ins Leben gerufen hat. Das, was ich als die erste Ära der Riots bezeichne – in den frühen Industrienationen, dem kapitalistischen Kern – dreht sich meistens um die Preise für Lebensmittel, „Brotaufstände“ und so weiter und so fort. Aber in der gegenwärtigen Ära der Riots erscheint der Riot durchweg als „ethnischer Riot“. Und es ist eine Herausforderung, diese beiden Dinge miteinander zu verbinden und zu versuchen, diese Beziehung zu verstehen, anstatt zu sagen, dass es sich um zwei völlig unterschiedliche Phänomene handelt, die zufällig ein gemeinsames Wort haben. Das ist in gewisser Weise das Projekt des Buches. Dabei habe ich versucht, den Grund dafür zu verstehen, warum rassifizierte Bevölkerungsgruppen in den Vereinigten Staaten – oft als Schwarze identifiziert werden – aber keineswegs ausschließlich. Was haben diese Bevölkerungsgruppen mit der verelendeten und hungernden Bevölkerung auf dem britischen Land im Jahre 1740 gemeinsam. Die Antwort lautet: einige Dinge, aber nicht alle Dinge. Die Frage ist, wie es dazu kommt, dass ein bestimmter Teil der Bevölkerung vom formellen Lohn, vom Zugang zum Lohn ausgeschlossen wird, was einerseits bedeutet, dass sie vom beständigen und regelmäßigen Zugang zu einem Gehaltsscheck ausgeschlossen sind, um Dinge zu kaufen, aber auch bedeutet, dass sie von bestimmten politischen Aktivitäten wie dem Streik ausgeschlossen sind.

Und in den Vereinigten Staaten – aber nicht nur in den Vereinigten Staaten, wir haben viele gute Beispiele in Westeuropa und Skandinavien – geschieht diese Ausgrenzung entlang rassistischer Linien immer und immer wieder durch eine ganze Reihe von Maßnahmen. In den USA gab es Jim Crow. In den fünfziger Jahren gab es ausgedehnte Bemühungen der Gewerkschaften, schwarze Arbeitnehmer aus den Gewerkschaften herauszuhalten. Wenn sie dann doch reinkommen, gilt die Politik „Wer zuletzt eingestellt wird, wird zuerst gefeuert“. Wenn also die Deindustrialisierung beginnt, was früher geschieht, als die Leute denken – in den USA beginnt die Deindustrialisierung um 1960 in Newark und Detroit und anderen Orten, wenn also die Deindustrialisierung einsetzt und die Wirtschaft relativ gesehen beginnt, Industriearbeitsplätze abzubauen, werden rassifizierte Bevölkerungsgruppen, vor allem Schwarze, zuerst ausgeschlossen. Man kann also einerseits sagen, dass sie abstrakt gesehen auf den Markt gedrängt wurden, aber aus dem Lohn, aus dem Raum der Zirkulation und aus der Produktion, aber konkret gesehen sind sie auch, ihr wisst schon, schwarze Amerikaner. In Detroit könnte man kein besseres Beispiel finden. Die relative Surplus Bevölkerung als abstrakte Kategorie neigt dazu, sich mit dem konkreten Phänomen der Ethnie in einer Weise zu decken, die verheerend ist und ein klassischer Ausdruck von anhaltendem Rassismus.

Alejo Stark: Also, du weißt, dass du diesen Sinn für Ethnie und den Prozess der Rassifizierung von der Arbeit von Stuart Hall, aber auch von Ruth Wilson Gilmore übernommen hast, richtig? Wobei die Formulierung von Stuart Hall lautet: „Ethnie ist die Modalität, durch die Klasse gelebt wird.“ Du behältst diese Form bei und argumentierst stattdessen, dass „ Riot die Modalität ist, durch die der Surplus gelebt wird“. In gewissem Sinne ist das eine Anspielung auf den relativen Bevölkerungsüberschuss. Einige könnten argumentieren, dass Ethnie über diese so genannten „wirtschaftlichen Determinierungen“, sagen wir, hinausgeht. Insbesondere Orlando Patterson und Frank Wilderson sprechen von grundloser Gewalt, die auf die Bedeutung einer libidinösen Ökonomie und nicht einer politischen Ökonomie hinweist. Es gibt auch einige Versuche, Ethnie so zu denken, als existiere sie sozusagen „außerhalb“ der kapitalistischen Verhältnisse. Zumindest wurde das vorgeschlagen. Ich denke jedoch, dass du mit Gilmore und anderen über Ethnie als etwas nachdenkst, was ich die relative Autonomie der Ethnie nennen würde. Kannst du uns ein wenig mehr darüber erzählen, wie du über Ethnie (oder genauer gesagt über Prozesse der Rassifizierung) denkst?

Joshua Clover: Ja, also, du weißt schon, ich glaube, ich habe dich diesen Satz vor zwei Tagen sagen hören, als wir uns zum ersten Mal trafen, und ich fand ihn sehr nützlich, und ich wünschte, du hättest ihn mir ein paar Jahre früher gesagt – er hätte mir geholfen, als ich über die Probleme nachdachte. Generell möchte ich sagen, dass die politische Frage, die sich uns stellt, meines Erachtens darin besteht, wie wir uns nicht zwischen diesen beiden Positionen entscheiden müssen. Weißt du, der Afro-Pessimismus, die Tradition von Wilderson und so weiter, die du erwähnt hast, ich denke, es gibt echte Gründe, warum er jetzt so viel intellektuelle Zugkraft hat, warum die Leute so daran interessiert sind, und es wäre absurd, ihn abzutun. Gleichzeitig stört mich die politische Implikation, dass es keine Möglichkeit der politischen Solidarität zwischen der schwarzen Bevölkerung, den Trägern des sozialen Todes – das ist die Formulierung, die er von Patterson übernimmt – und anderen Bevölkerungsgruppen gibt. Und mir scheint, wenn es einen Horizont des revolutionären Kampfes gibt, dann nur, weil diese Solidaritäten, Bündnisse, Zugehörigkeiten, organisatorischen Einheiten möglich sind. Ich stimme absolut zu, dass politisch-ökonomische Determinanten nicht alle Phänomene der Ethnie erklären können. Das scheint mir offensichtlich wahr zu sein. Außerdem scheint mir klar zu sein, dass Ethnie und Rassismus trotz einiger gegenteiliger Argumente dem Kapitalismus vorausgingen. 

 Das ist etwas, das sich das Kapital zunutze macht, vor allem um eine unterschiedliche Bewertung des menschlichen Lebens zu erreichen. So kann es mehr Mehrwert extrahieren, indem es den tatsächlichen Wert der Menschen gegeneinander ausspielt, wie er durch staatliche Gewalt produziert wird. Ich denke also, dass es einen Weg gibt, wie wir über diese beiden Dinge zusammen nachdenken können, ohne in eine Debatte darüber zu verfallen, was der primäre Widerspruch ist und was epiphänomenal ist. Ich glaube nicht, dass wir uns entscheiden müssen. Ich denke, wir können das Problem und die Problematik von verschiedenen Positionen aus betrachten. Selbst wenn man versucht, im Rahmen der kritischen politischen Ökonomie zu denken, habe ich versucht, eine Formulierung zu verwenden: „die politische Ökonomie des sozialen Todes“. Diese Kategorie des sozialen Todes – wie können wir darüber nachdenken, dass sie durch die Expansionsbedürfnisse des Kapitals produziert und reproduziert wird? Was nicht heißen soll, dass das Kapital Ethnie verursacht. Diese Behauptung möchte ich definitiv nicht aufstellen. Das Kapital profitiert von der Ethnie. Es ist in der Tat eine grundlegende Art und Weise, wie das Kapital profitiert. Es ist grundlegend für das Kapital, dass es von der Ethnie profitiert. Es hat also ein großes Interesse daran, zu ihrer Reproduktion beizutragen, diesen Zustand des sozialen Todes zu reproduzieren, auch wenn es ihn nicht erfunden hat. Ich glaube also nicht, dass wir uns entscheiden müssen, aber wir können sehen, wie diese Phänomene sich nicht gegenseitig stören, sondern zusammenwirken.

Maria: Wie Ruth Wilson Gilmore und andere gezeigt haben, setzt sich die Gefängnispopulation in den Vereinigten Staaten überwiegend aus dieser rassifizierten Surplus Bevölkerung zusammen. Daher gibt es eine Überschneidung in der Figur der zeitgenössischen Rechte, in Riot.Strike.Riot schreibst du, dass der Riot das Gegenstück zur Inhaftierung ist. Wenn die staatliche Lösung für das Problem der Krise und des Surplus das Gefängnis, die karzerale Verwaltung ist, dann ist der Riot ein Wettstreit, der sich direkt gegen diese Lösung richtet. Ein Gegenvorschlag der Unverwaltbarkeit. Kannst du uns mehr darüber erzählen, wie du die Beziehung zwischen dem Gefängnis und dem Aufstand siehst?

Joshua Clover: Nein, ich denke, ich habe es so gut gesagt, wie ich es konnte. Ich meine, ich kann versuchen, das zu erweitern. Ich bin mir nicht sicher, ob ich euch etwas erzähle, was ihr nicht schon wisst. Die Rassifizierung der Gefängnisbevölkerung und die Rassifizierung der Bevölkerung bei den Riots sind ein und dasselbe Phänomen – und das ist sehr, sehr wichtig zu sagen. Wisst ihr, in dem Maße, in dem das Geflecht aus Staat und Kapital nicht mehr in der Lage ist, die Menschen in den Lohn und die besondere Disziplin, die der Lohn bietet, zu integrieren, vergessen wir, dass viele Menschen, vor allem arme Menschen, sich so verzweifelt und dankbar für den Lohn fühlen können, weil er ihnen Zugang zu dem verschafft, was sie zum Überleben brauchen. Es ist leicht, ihn nicht als grundlegende Form der Disziplin für Menschen zu begreifen, die auf ihn angewiesen sind, nicht wahr? Sie sagt dir, wann du morgens aufstehen und wann du abends ins Bett gehen musst. Sie sagt dir, was du zwischen diesen Stunden tun sollst und so weiter. Es ist also eine unglaubliche Form der Disziplin. Aber wenn der Lohn nicht mehr als eine Form der Disziplinierung funktioniert, wenn man entscheidet, dass es keinen Platz mehr gibt, um mehr Arbeiter einzubeziehen, und die Verfügbaren, die Ausgeschlossenen, werden Schwarze, Latino-Menschen sein – und man beginnt, diese auszuschließen. Dann braucht man eine andere Form der Disziplin. Dann hat man also diese Bevölkerung. Und dann stellt sich die Frage, wie man sie disziplinieren kann, und kann man sie alle disziplinieren? Kann man sie alle ins Gefängnis stecken? Und wenn man das nicht kann, dann bleibt der Rest übrig – und das kann man natürlich nicht, egal wie groß die staatliche Infrastruktur für die Inhaftierung ist, man kann einfach nicht alle einsperren. Und die Frage ist, dass die Bevölkerung, die nicht diszipliniert wird, die diesen Dingen entkommen ist, nichts anderes tun wird, als zu kämpfen, in dieser Situation der Unfreiheit kann man nur sterben oder kämpfen. Und wie sollen sie kämpfen? Und weißt du, das Buch ist genau für sie.

Alejo Stark: Du hast wahrscheinlich von den Gefängnisstreiks gehört, die 2018 und 2016 die Gefängnisse in den Vereinigten Staaten erschüttert haben. Ich denke, dass die Menschen drinnen an Streiks in einem sehr weiten Sinne denken. Es geht also nicht nur um die Arbeitsniederlegung, wie es 2016 der Fall war, sondern 2018 gibt es eine Vielzahl von Taktiken, die vor allem darauf abzielen, den Staatsapparat zu stören oder zu zerstören. Ich frage mich also, wie du denkst, weißt du, inwieweit wir mit dem Modell, das du vorgeschlagen hast, denken können, was die Theorie der Riots und die Beziehung zwischen Krise, rassifizierten Surplus Bevölkerungen und dem Karzeralstaat uns über diese Streiks sagen könnte.

Joshua Clover: Wir haben Ruth Wilson Gilmore schon ein paar Mal zitiert, und ich werde sie ein weiteres Mal zitieren. Sie hat, ich glaube, zusammen mit Craig Gilmore, eine ziemlich vernichtende Kritik über den Film ‘13’ geschrieben, in dem es darum geht, dass das neue Gefängnissystem in Wirklichkeit die neue Sklaverei ist, dass die übermäßige Inhaftierung von Schwarzen eine Form der Versklavung ist, um kostenneutrale oder extrem schlecht bezahlte Arbeit zu bekommen. Und ihre Kritik daran ist, dass dies die Rolle der gewinnorientierten Gefängnisindustrie übertreibt, die ziemlich unbedeutend ist, und wir können das Gefängnissystem nicht wirklich über die Generierung von Profiten für das Kapital verstehen. Vielleicht spielt es eine kleine Rolle, aber wir können es nicht wirklich auf diese Weise verstehen. Wir müssen es als eine Form der disziplinarischen Kontrolle über diese Bevölkerungsgruppen verstehen, die anders nicht kontrolliert werden können, als eine Möglichkeit, Surplusse zu verwalten – ihre Sprache, auf die ich mich sehr stark stütze.

Wenn wir das also akzeptieren, und ich bin ziemlich überzeugt davon, und wenn ihr jemals mit Ruthie gesprochen habt, werdet ihr auch überzeugt sein. Ich bin ziemlich überzeugt von dieser Sache. Und wenn du das tust, dann ist es schwierig, wenn man auf der Terminologie beharrt, einen Gefängnisstreik als Streik zu bezeichnen, gleichzeitig versteht man, warum die Leute immer wieder diese Sprache wählen. Der Streik bedeutet für viele eine Art Verweigerung, und Verweigerung ist eine der großen Kräfte, die wir haben. Sie bekräftigt gewissermaßen dieses Moment der körperlichen Autonomie – du magst die Macht haben, mich ziemlich absolut zu beherrschen, aber wenn ich mich einfach weigere, mich zu bewegen, ist es ziemlich schwer für dich, mich zu etwas zu zwingen. Diese Macht der Verweigerung, die mit der körperlichen Autonomie beginnt, ist also für die Menschen von Bedeutung. Und das ist einer der Gründe, warum die Menschen die Sprache des Streiks verwenden.

Historisch gesehen hat der Begriff Streik sehr viel Charisma, weil er 1905 oder 1917 oder in den 1930er Jahren und so weiter sehr effektiv zu sein schien. Seit den siebziger Jahren hat der Streik in den Vereinigten Staaten offensichtlich stark an Bedeutung verloren, und wir können uns vorstellen, dass in 50 Jahren der Streik als eine Art Rahmen nicht mehr die gleiche Ausstrahlung haben wird und die Menschen sich nicht mehr so gezwungen fühlen werden, zu sagen: X Streik, Y Streik, Z Streik. Im Moment ist es so. Und ich verstehe das. Ich verstehe also, warum die Leute diese Sprache wählen, aber ich denke, wie du vorschlägst, könnte es nützlich sein, über diese Sprache hinaus auf die tatsächlichen Prozesse zu blicken, die vor sich gehen, von denen viele zu versuchen scheinen, die reibungslose Reproduktion des Funktionierens von Systemen zu stören oder zu unterbrechen, den Fluss von Waren und Dienstleistungen an verschiedenen Orten zu unterbrechen.

Das ist der Grund, warum ‘Riot’ und ‘Strike’ diese markanten Namen sind, aber ich bin wirklich mehr an den größeren Kategorien interessiert, die sie als Metonymie für den Produktionskampf für den Streik und den Zirkulationskampf für den Riot sind und um darüber nachzudenken, was die Gefangenen tun. Und hier sollte ich anmerken, dass ich denke, dass du in dieser Hinsicht tatsächlich nachdenklicher bist als ich. Du hast mehr Zeit damit verbracht und bist ziemlich scharfsinnig, und in gewisser Weise wiederhole ich nur Dinge, die ich von dir gelernt habe – aber die Dinge, die innerhalb des Gefängnisses vor sich gehen, scheinen mir über die Kategorie der Verweigerung der Arbeitsniederlegung hinauszugehen und sich mit anderen Arten von Interferenzen, Unterbrechungen oder Konfrontationen mit der Reproduktion dieses speziellen Systems, des Gefängnissystems, des lokalen Gefängnisses, des größeren Gefängnissystems, zu beschäftigen. Es könnte also nützlich sein, zu versuchen zu verstehen, was dort in einem Rahmen jenseits dieses Streiks passiert.

Maria: Ich glaube, es gibt noch so viele andere Dinge, die wir fragen könnten. Aber da die Zeit drängt, gibt es irgendetwas, das du besonders erwähnen möchtest, über das wir noch nicht sprechen konnten?

Joshua Clover: Nun, ja, aber das ist eher aus Eigeninteresse. Wenn wir also diese Gespräche führen, ist das eine interessante Gelegenheit, die Dinge, über die ich im Buch nachzudenken versuchte, wieder aufzugreifen, und wenn ich sie wieder aufgreife, stoße ich auch wieder auf die Unvollständigkeit der Dinge, über die ich nachzudenken versuchte. Wir müssen uns immer mit der Unvollständigkeit abfinden. Das Leben ist endlich. Tausendseitige Bücher sind mühsam. Ich habe mich bemüht, es kurz zu halten. Ich wusste, dass ich eine Menge Dinge auslassen würde. Aber, na ja, das Allerletzte, was ich sagen möchte, ist, wenn dies bei euch oder euren Zuhörern ein Gespür für Wege weckt, die erforscht werden müssen oder mit denen weiter gerechnet werden muss oder die überdacht werden müssen, dann würde ich das gerne hören, denn ich möchte mein Denken fortsetzen, aber ich kann jede Hilfe gebrauchen, die ich bekommen kann.

Maria: Ja. Nun, vielen Dank, dass du heute bei uns in der Sendung bist, und auch für deine hervorragende Arbeit.

Joshua Clover: Es war mir wirklich ein Vergnügen, bei euch zu sein. Ich danke euch vielmals.

Anmerkung der Übersetzung: das englische ‘race’ wurde mit Ethnie etc. übersetzt, auch wenn es nicht genau das selbe meint, aber denglisch ist bekloppt und irgendwie gibt es aufgrund unserer Geschichte keine gescheite Lösung für das Problem. Der Text erschien auf dem Blog von Verso Books.