Nachdem der französische Senat ein Wahlgesetz verabschiedet hat, mit dem die Kolonialisierung Kanakys verfestigt werden soll, geht der Archipel in Flammen auf. Am 13. Mai wurden auf den Aufruf der Unabhängigkeitsorganisationen hin überall auf dem Archipel spontane Versammlungen abgehalten, Straßensperren errichtet und Streiks in den wichtigsten Wirtschaftssektoren etabliert. Die Situation entwickelt sich schnell hin zu einer offenen Revolte. Am Nachmittag brach im Hauptgefängnis von Camp-Est eine Meuterei aus und bei Einbruch der Dunkelheit errichteten aufständische Kanak immer mehr Barrikaden, stießen mit den Ordnungskräften zusammen und setzten Dutzende von Amts- und Geschäftsgebäuden in Brand.
Am nächsten Tag verhängte der Staat eine Ausgangssperre, aber nichts schien die Sturmflut der Kanak zu bremsen. Die Gendarmerie und die Polizei waren überfordert, und die Brandanschläge verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. In der Hauptstadt Nouméa, in den Vierteln der Siedler, errichten loyalistische Milizen Straßensperren. Die oftmals bewaffneten Loyalisten koordinieren sich untereinander und mit den Ordnungskräften, um das Feuer der Aufständischen einzudämmen. Angesichts dieses allgegenwärtigen Flächenbrandes, der weit über die Strukturen und Anweisungen der Unabhängigkeitsorganisationen hinausgeht, wird der Ausnahmezustand ausgerufen. Polizei und Militär werden in aller Eile auf die Inselgruppe verlegt. Die Armee sichert Häfen und Flughäfen, zahlreiche Personen, die polizeibekannt sind, werden unter Hausarrest gestellt, digitale Kommunikationsnetze werden blockiert. Der junge Kanak-Student Jybril (19) wird im Viertel Tindu in Nouméa von Siedlern in den Rücken geschossen. Im Industriegebiet von Ducos werden Chrétien (36) und seine Cousine Stéphanie (17) von einem Siedler ermordet. Die Aufständischen berichten auch von zahlreichen mehr oder weniger schwer Verletzten, die von Gendarmen oder loyalistischen Milizionären getroffen wurden. Auf Seiten des Staates starb ein Gendarm, als das Dienstfahrzeug in Mont-Dore von Aufständischen ins Visier genommen wurde. Zwei Tage später wurde ein Oberst, der in der Nähe einer Sperre auf Aufständische geschossen hatte, durch Verteidigungsfeuer getötet.
Während in Nouméa und auf strategischen Straßenachsen anderswo auf der Insel Hunderte von Straßensperren errichtet und Dutzende Gebäude und Fabriken von Brandstiftern ins Visier genommen wurden (Banken, Autohändler, staatliche Einrichtungen, Supermärkte, Fabriken und Unternehmen), wurde das Minenzentrum in Kouaou von aufständischen Kanak angegriffen. Das Förderband der Nickelmine, ein 11 km langes Förderband, das das Erz aus der Mine hinunter zur Verladerampe am Meer befördert, wurde in Brand gesetzt und zerstört, da die Feuerwehr nicht in der Lage war, den Schaden zu begrenzen. Andernorts werden Bergbaumaschinen in Brand gesetzt. Aber vielleicht ist es vor allem die Fabrik zur Verarbeitung von Nickel, dem beliebten Metall für Legierungen für militärische und technologische Zwecke, die vom französischen Bergbaugiganten Eramet betrieben wird, die die Abbaukette, die der französische Staat um keinen Preis missen möchte, zu unterbrechen droht. Die drei Öfen dieser pyrometallurgischen Anlage müssen nämlich rund um die Uhr mit Erz versorgt werden, da sie sonst irreparabel beschädigt werden könnten. Da die Minen stillstehen und jeglicher Erztransport durch die Straßensperren der Aufständischen verhindert wird, ist die Spannung unter den Nickel-Industriellen auf dem Höhepunkt. Dies ist übrigens der andere Aspekt des neuen Wahlgesetzes: Seit Anfang des Jahres versucht der französische Staat, mit der Industrie und den lokalen politischen Institutionen einen Nickel-Pakt zu vereinbaren, um den Abbau und die Veredelung von kaledonischem Nickel dauerhaft zu sichern. Der Pakt, über den noch verhandelt wird, sieht umfangreiche Finanzspritzen des Staates vor, um die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors zu erhöhen, indem er eng an die Programme zur Herstellung von Elektrobatterien in Europa gekoppelt wird, sowie umfangreiche Investitionen in die Energieinfrastruktur, die derzeit mangelhaft ist. Im Gegenzug würden sich die Industriellen verpflichten, die Produktion zu steigern und ihre Fabriken und Bergwerke zu modernisieren. Die Verhandlungen über den Pakt hatten zu einer starken Mobilisierung mit Demonstrationen und Blockaden seitens der Kanak-Stämme und der Unabhängigkeitsbefürworter geführt, die darin eine Verfestigung des Zugriffs des französischen Staates auf die Insel sahen.
Nach einigen Tagen, in denen das Straßennetz blockiert, Supermärkte und Lagerhäuser zerstört und der Hafen bestreikt wurde, kam es schnell zu Engpässen bei den Lebensmitteln. Für die einen ist es der Moment, sich in lange Warteschlangen vor den unter dem Schutz von Polizei und Milizen organisierten Verkäufen und Verteilungen einzureihen und um die Rückkehr der Ordnung zu flehen; für die anderen ist es die ganze Erfahrung von aufständischer Autonomie und Enteignung sowie von Konflikten und Widersprüchen, die in das Vakuum stößt, das die Abwesenheit von Waren und des Staates hinterlassen hat.
Polizei- und Militärverstärkungen wurden sofort eingesetzt, um die Blockaden zu räumen und abzubauen. Am Sonntag, den 19. Mai, zerstört eine groß angelegte Operation der Gendarmerie nicht weniger als 60 Straßensperren auf der Straße zwischen Nouméa und dem internationalen Flughafen Tontouta. Die Blockaden, auf denen die Fahnen eines freien und ungezähmten Kanaky wehen, sind auch Zentren der Selbstorganisation und des Zusammenschlusses, der Umverteilung von Lebensmitteln unter den Aufständischen, des Austauschs und der Begegnungen, die sich nicht so leicht von irgendjemandem (einschließlich der traditionellen Autoritäten oder der politischen Strukturen der Unabhängigkeitsbewegung) kontrollieren oder lenken lassen.
Parallel dazu, nachdem der Staat die antikolonialen Kanak-Organisationen als mafiöse Strukturen gebrandmarkt hat, bemüht er sich, die Kanak-Politiker dazu zu bringen, zur Ruhe aufzurufen, die Gewalt anzuprangern und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Die Medien werden mobilisiert, um die „Gewaltspirale“ zu verunglimpfen und den Aufstand als einen von opportunistischen Plünderern und kriminellen Banden dominierten, nicht enden wollenden Aufstand darzustellen. Gleichzeitig unterstützten die Loyalisten und ihre Milizen mit Waffen in der Hand aktiv die Ordnungskräfte.
Am 23. Mai reiste der französische Staatschef in seine Kolonie Neukaledonien und versprach die Wiederherstellung der Ordnung, koste es, was es wolle. Die politischen Gruppierungen der Unabhängigkeitsbewegung stimmten dem Aufschub der Einführung des vom Präsidenten vorgeschlagenen neuen Wahlgesetzes zu, als Gegenleistung für ihre Hilfe bei der Wiederherstellung der kolonialen Ruhe. Auf den Straßen und an den Straßensperren gehen die Kämpfe jedoch weiter. Ein weiterer Kanak-Aufständischer (48) wurde von einem dienstfreien Gendarm erschossen, als er versuchte, eine Straßensperre in Koutio (Dumbéa) zu durchbrechen. „Die republikanische Ordnung wird in Neukaledonien wiederhergestellt, koste es, was es wolle“, hatte der Hochkommissar Louis Le Franc vor einigen Tagen in Anwesenheit des Kommandanten der Gendarmerie und des Direktors der Territorialpolizei erklärt. Im Hauptgefängnis wurden rund 100 Zellen von Meuterern verwüstet oder in Brand gesteckt, was dazu führte, dass Dutzende Gefangene auf dem Luftweg in das zweite Gefängnis des Archipels in Koné im Norden der Insel gebracht wurden. Am Tag nach dem Besuch des französischen Staatspräsidenten veröffentlichte die kaledonische Industrie- und Handelskammer einen Bericht, in dem die Schäden beziffert wurden: 350 Industrie- und Handelsstandorte wurden zerstört. Bei den großen Handelsketten (Carrefour, Super U, Intermarché, die von einigen Familien als Franchiseunternehmen betrieben werden) wurden fast 90 % ihrer Geschäfte zerstört oder schwer beschädigt. Zahlreiche Häuser und Anwesen von Siedlern wurden überfallen und geplündert. So mussten am 25. Mai Dutzende von Kolonisten aus der Metropole auf dem Seeweg aus dem von Kanak belagerten Wohnviertel Kaméré evakuiert werden.
Gestärkt durch die militärischen und polizeilichen Operationen gegen die Aufständischen und die Aufrufe zur Ruhe der wichtigsten politischen Gruppierungen der Unabhängigkeitsbewegung, die ihre Militanten zum Teil demobilisierten, beschloss der Staat am 28. Mai, den Ausnahmezustand nicht zu verlängern, die Ausgangssperre jedoch beizubehalten.
Der Flächenbrand auf Kanaky, die in die Praxis umgesetzten Methoden des aufständischen Kampfes, die Aushebelung der politischen und gewerkschaftlichen Kader, die Erfahrungen mit der Autonomie der Aufständischen an den Blockaden und in der offensiven Aktion, die Wiedererkennung zwischen Aufständischen und Aufständischen, die gemeinsam für die Überwindung des kolonialen Jochs und ein freies Kanaky kämpfen: All das wird den Kolonialstaat, die loyalistischen Milizen und die Betreiber der Nickelminen weiter verfolgen. Andere vom französischen Staat besetzte oder indirekt kontrollierte Gebiete könnten sich davon inspirieren lassen, um Feindseligkeiten zu entfachen. Lasst uns also auch hier dem Aufstand für ein freies Kanaky nicht tatenlos zusehen. Kolonisiert, um der militärischen Machtprojektion Frankreichs im Pazifik zu dienen, umgegraben, um das Nickel abzubauen, das nötig ist, um diese industrielle und ökozidale Gesellschaft über Wasser zu halten, unterworfen, um die kommerzielle und staatliche Sicht der Welt, der Natur und des Lebens durchzusetzen, vereinnahmt, um rassistische Siedler und ihre Herrschaftskultur zu installieren – Kanaky kann sich nur durch aufständische Aktionen befreien. Wir werden unsere Bemühungen verstärken, die industriellen, staatlichen und kolonialen Kettenglieder zu durchtrennen, die Kanaky an den französischen Staat ketten, von der Bergbauindustrie bis zu den repressiven Kräften, von den Energiekonsortien bis zu den Bauunternehmen, von den großen Handelsketten bis zu den Banken. Unsere Solidarität darf nicht nur verbal und symbolisch sein: Sie muss sich in Aktionen gegen die französischen Interessen konkretisieren.
Stehen wir auf der Seite des Befreiungsschubs, der Kanaky in Flammen setzt
Solidarität mit den Befreiungskämpfen
Autonomie, Widerstand und Sabotage
Solidarische Anarchisten
Erschienen am 29. Mai 2024 auf Paris-Luttes.Info, ins Deutsche übersetzt von Bonustracks.