Maurizio Lazzarato
Wir veröffentlichen den ersten Teil einer Reihe von Artikeln, die Maurizio Lazzarato für uns verfasst hat, um eine Bestandsaufnahme des laufenden „weltweiten Bürgerkriegs“ zu machen. Im ersten Teil befasst sich der Autor mit dem „Zentrum, das nicht gehalten wird“, wie der Autor sagen würde, d.h. mit der Krise in den USA, dem Herzen der heutigen kapitalistischen Macht. Die Krisen und Kriege, die die Welt zerstören, sind die Töchter der Machtstrategien des Landes der Stars and Stripes.
Erinnern wir uns daran, dass Maurizio Lazzarato ein Buch über diese Themen geschrieben hat, das kürzlich bei DeriveApprodi erschienen ist: „Weltweiter Bürgerkrieg?”
(Vorwort Machina)
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Das wirtschaftliche und politische Fiasko der USA
Ein zweifacher, widersprüchlicher und komplementärer politischer und wirtschaftlicher Prozess ist im Gange: Der Staat und die (US-)Politik setzen ihre Souveränität durch Krieg (einschließlich Bürgerkrieg) und Völkermord gewaltsam durch. Gleichzeitig zeigen sie ihre völlige Unterordnung unter das neue Gesicht, das die wirtschaftliche Macht nach der dramatischen Finanzkrise von 2008 angenommen hat, indem sie eine noch nie dagewesene Finanzialisierung vorantreiben, die ebenso illusorisch und gefährlich ist wie diejenige, die die Subprime-Hypothekenkrise (link d.Ü.) hervorgebracht hat. Die Ursache der Katastrophe, die uns in den Krieg geführt hat, ist zu einer neuen Medizin geworden, um aus der Krise herauszukommen: eine Situation, die nur ein Vorbote für weitere Katastrophen und Kriege sein kann. Eine Analyse der Geschehnisse in den Vereinigten Staaten, dem Herzen der kapitalistischen Macht, ist von entscheidender Bedeutung, denn von ihrem Schoß, ihrer Wirtschaft und ihrer Machtstrategie gingen alle Krisen und alle Kriege aus, die die Welt verwüstet haben und noch immer verwüsten.
Der Kern des Problems liegt im Scheitern des wirtschaftlichen und politischen Modells der USA, das sie zwangsläufig zu Kriegen, Völkermord und internen Bürgerkriegen treibt, die derzeit nur im Entstehen sind, sich aber am Ende der Präsidentschaft von Donald Trump auf dem Capitol Hill bereits ein erstes Mal materialisiert haben. Die amerikanische Wirtschaft hätte schon längst Konkurs anmelden müssen, wenn die Regeln, die für andere Länder gelten, auch für sie gelten würden. Ende April 2024 betrug die gesamte Staatsverschuldung, genannt Total Treasury Security Outstanding, also die Summe der verschiedenen Anleihen und Staatsschuldtitel, 34.617 Milliarden Dollar. Zwölf Monate zuvor lag diese Summe bei 31.458 Milliarden. Innerhalb eines Jahres stieg die Staatsverschuldung um 3.160 Milliarden Dollar, was fast der Höhe der Staatsverschuldung Deutschlands, der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt, entspricht. Aber es ist die exponentielle Entwicklung, die jetzt völlig unkontrolliert ist: ein Anstieg um 1 Billion alle hundert Tage. Heute sind wir bereits bei 1 Billion alle 60 Tage.
Wenn es eine Nation gibt, die auf Kosten der Welt lebt, dann sind es die USA. Der Rest der Welt bezahlt ihre Schulden (die irrsinnigen Ausgaben für den „American Way of Life“ – von denen offensichtlich nur ein Bruchteil der Amerikaner profitiert – sowie ihren riesigen Militärapparat) vor allem auf zwei Arten. Durch den Dollar, die meistgehandelte Ware der Welt, verfügen die USA über die Seigniorage des gesamten Planeten, da ihre nationale Währung als Währung des internationalen Handels fungiert, was es ihnen ermöglicht, sich zu verschulden wie kein anderes Land. Nach der Krise von 2008 haben die USA einen anderen Weg gefunden, die Kosten der Verschuldung auf andere Länder abzuwälzen, und zwar durch eine Neuordnung des Finanzwesens. Kapital (vor allem von Verbündeten, darunter vor allem Europa) wird in die USA transferiert, um die steigenden Zinsen für die Schulden zu bezahlen, und zwar mit Hilfe von Investmentfonds. Nach der Finanzkrise kam es dank fünfzehn Jahren quantitativer Lockerung (Liquidität zum Nulltarif) durch die Zentralbanken zu einer Kapitalkonzentration, die zu einem Monopol führte, wie es der Kapitalismus nie zuvor gekannt hat. Mit politischer Hilfe der Regierungen Obama und Biden verfügt eine sehr kleine Gruppe amerikanischer Fonds über ein Vermögen (d. h. die Sammlung und Verwaltung von Ersparnissen) von 44 bis 46 Billionen Dollar. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, was diese monopolistische Zentralisierung bedeutet, kann man sie mit dem BIP von Italien – 2 Billionen Dollar – oder dem der gesamten Europäischen Union – 18 Billionen Dollar – vergleichen. Die „Big Three“, wie die drei wichtigsten Fonds genannt werden, Vanguard, Black Rock und State Street, stellen in Wirklichkeit eine einzigartige Realität dar, da sich die Eigentumsverhältnisse der Fonds überschneiden und schwer zuzuordnen sind.
Der Reichtum dieses „Hypermonopols“ beruht auf der Zerstörung des Wohlfahrtsstaates. Für Renten, Gesundheit, Schulbildung und jede andere Art von Sozialleistungen sind die Amerikaner gezwungen, Versicherungen aller Art abzuschließen. Jetzt sind die Europäer und die übrige westliche Welt (aber auch Mileis Lateinamerika) an der Reihe, das Tempo des Abbaus der Sozialleistungen in die Hände der Investmentfonds zu legen (das indirekte, durch den Wohlfahrtsstaat garantierte Einkommen verwandelt sich in eine Last, in Kosten und Ausgaben, die jeder auf sich nehmen muss, um seine eigene Reproduktion sicherzustellen). Die USA haben ein doppeltes Interesse daran, den Abbau der Sozialleistungen weltweit fortzusetzen und zu intensivieren: ein wirtschaftliches, weil es zu Investitionen in die Wertpapiere der Fonds führt (die wiederum dazu dienen, Staatsanleihen, Obligationen und Aktien amerikanischer Unternehmen zu kaufen), und ein politisches, weil die Privatisierung der Dienstleistungen Individualismus und die Finanzialisierung des Individuums bedeutet, das vom Arbeiter oder Bürger in einen kleinen Finanzakteur verwandelt wird (und nicht in einen Unternehmer seiner selbst, wie die herrschende Ideologie behauptet). Auch die Steuerpolitik ist auf die Abschaffung des Wohlfahrtsstaates ausgerichtet. Weder die Reichen noch die Unternehmen werden zur Zahlung von Steuern gezwungen, und die Steuerprogression wird auf Null gesenkt; daher gibt es keine Mittel mehr für Sozialausgaben, was einen Anreiz zum Kauf privater Policen schafft, die in Investmentfonds landen. Der Plan, alles zu zerstören, was in zweihundert Jahren Kampf errungen wurde, geht nun endlich auf.
Die amerikanischen Ersparnisse reichen nicht mehr aus, um den Rentenkreislauf zu füttern, so dass sich die Fonds auf die europäischen Ersparnisse stürzen. Die 35 Billionen Dollar, die Enrico Letta beispielsweise einem großen europäischen Investmentfonds zuweisen möchte, würden nach den gleichen Prinzipien funktionieren: Produktion und Verteilung von Renten, die die gleichen enormen Klassenunterschiede wie in den USA formen. Der Grund für die schnelle und unglaubliche Verarmung Europas liegt in der Wirtschaftsstrategie des amerikanischen Verbündeten. Der negative Abstand zu den USA hat sich von 15 % im Jahr 2002 auf heute 30 % erhöht. Je mehr Europa ausgeraubt wird, desto mehr wird seine politische und mediale Klasse atlantisch, kriegslüstern und anfällig für diejenigen, die sie dramatisch an den Rand drängen und sie in einen Krieg gegen Russland treiben ( welchen sie im Übrigen nicht einmal mittragen würden). Die europäischen Staaten haben China und Ostasien beim Kauf von US-Staatsanleihen abgelöst und zwingen die Bevölkerung im Zuge des Abbaus des Sozialstaates zum Abschluss von Versicherungspolicen, die auf den Konten von Investmentfonds landen. Auf diese Weise wird der Euro in Dollar umgewandelt, was die Dollarisierung vor der Bedrohung durch die Weigerung des Südens bewahrt, sich der Vorherrschaft der amerikanischen Währung zu unterwerfen.
Dieser Transfer von Reichtum betrifft auch Lateinamerika, wo Milei eine Vorhut der neuen Finanzialisierung ist, die darauf abzielt, alles zu privatisieren. Der Neofaschismus von Milei ist ein Laboratorium für die Adaption der amerikanischen Raubtechniken, die in Europa, Japan und Australien übernommen wurden, auch in den schwächeren Volkswirtschaften. Es ist kein klassischer Faschismus, es ist der neue „libertäre“ Faschismus der Renten und Investmentfonds, den Milei verkörpert, eine schlechte ideologische Kopie des Faschismus des Silicon Valley, der aus seinen „innovativen“ Unternehmen hervorgegangen ist. Wie Kissinger sagte: „Ein Feind der USA zu sein mag gefährlich sein, aber ein Freund der USA zu sein ist tödlich“. Diese enorme Liquidität hat es den Fonds ermöglicht, im Durchschnitt 22 % der gesamten Standard & Poors-Liste zu kaufen, die die 500 größten an der New Yorker Börse notierten Unternehmen enthält. Die Fonds sind bereits in den wichtigsten europäischen Unternehmen und Banken vertreten (vor allem in Italien, wo sie in rasantem Tempo veräußert werden), und ihre Spekulationen entscheiden praktisch über das Schicksal der Wirtschaft, indem sie die Entscheidungen der „Unternehmer“ lenken.
Jemand hat von der Autonomie des kognitiven Proletariats, von der Unabhängigkeit der neuen Klassenzusammensetzung geschwärmt. Nichts könnte falscher sein. Wer entscheidet, wo, wann, wie und mit welcher Arbeitskraft produziert wird (angestellt, prekär, dienstbar, weiblich usw.), ist wiederum derjenige, der über das notwendige Kapital, die Liquidität und die Macht dazu verfügt (heute sicherlich die „Großen Drei“). Es ist sicher das schwächste Proletariat der letzten zwei Jahrhunderte. Vergessen Sie Autonomie und Unabhängigkeit, die Klassenrealität ist Unterordnung, Unterwerfung und Gehorsam, wie nie zuvor in der Geschichte des Kapitalismus. Eine „lebendige Arbeit“ zu sein, ist eine Schande, denn es ist immer eine befohlene Arbeit, wie die meines Vaters und Großvaters. Die Arbeit produziert nicht „die“ Welt, sondern die „Welt des Kapitals“, die, bis zum Beweis des Gegenteils, etwas völlig anderes ist, weil sie eine Welt aus Scheiße ist. Lebendige Arbeit kann nur durch Ablehnung, Bruch, Revolte und Revolution Autonomie und Unabhängigkeit erlangen. Ohne dies ist ihr die Ohnmacht gewiss!
Die Machtkämpfe innerhalb des amerikanischen Finanzkapitals
Luca Celada[ 1] zitiert in einem bei Dinamopress erschienenen Artikel Robert Reich, der jenen als „progressiv“ bezeichnet, weil er als ehemaliger Minister in der Clinton-Regierung als guter Demokrat die Finanzialisierung (und die damit einhergehende Zerstörung der Sozialsysteme) intensiviert und abgrundtiefe Klassenungleichheiten ausgehöhlt hat, womit eine solide Grundlage für das Desaster von 2008 gelegt wurde, das die Ursache für die aktuellen Kriege ist. Das Vorgehen von Musk und Thiel, Unternehmern aus dem Silicon Valley und Verbündete von Trump, wird als Bedrohung eines neuen Monopols gesehen, während die beispiellose Zentralisierung der Macht der Fonds, die seit fünfzehn Jahren unter aktiver Mitwirkung der Demokraten die Runde macht und gemeinsam die Bedingungen für die nächste Finanzkatastrophe schafft, zu wenig beachtet wird.
„Der ‘Eintritt der Silizium-Tycoons in die Politik’ fiel, vielleicht nicht ganz zufällig, mit den ersten Anzeichen für ein energischeres regulatorisches Vorgehen der Biden-Harris-Administration zusammen, einschließlich der ersten echten Kartellklagen gegen Giganten wie Google, Amazon und Apple, die von der Vorsitzenden der Federal Trade Commission, Lina Khan (die ihre Dissertation über Amazons Monopol schrieb), und dem ebenso grimmigen stellvertretenden Justizminister Jonathan Kanter angestrengt wurden. Es ist daher vielleicht nicht überraschend, dass einige „Silicon-Barone“ auf den Kandidaten setzen, der ihnen am ehesten einen Blankoscheck ausstellen wird. Und einige von ihnen sogar in ‘die eigene Regierung’ berufen will.
Kamala Harris ist mit Händen und Füßen an den Willen der Fonds gebunden, denn die Hauptaktionäre aller (und wirklich aller) von Celada erwähnten Unternehmen sind eben diese Fonds. Ich sehe nicht, wie sie sich deren Monopol widersetzen kann, von dem das Heil der USA und das ihrer Partei („Demokraten für Genozid“) abhängt. Die Rechtfertigung für die Blindheit gegenüber den „Progressiven“ ist in Trumps Neofaschismus zu finden. Wenn er gewählt wird, kommen wir vom Regen in die Traufe; aber man darf nicht vergessen, dass wir bereits mit der Wahl Bidens vom Regen in die Traufe von Krieg und Völkermord gefallen sind. Man hat uns versichert, die Gewalt der Nazis sei eine Ausnahme, aber die Demokraten haben uns daran erinnert, dass der Völkermord vielmehr eines der Werkzeuge ist, mit denen der Kapitalismus seit seiner Gründung arbeitet. Die amerikanische Demokratie wurde auf Völkermord und Sklaverei gegründet. Rassismus, Rassentrennung und Apartheid sind ihre anderen strukturellen Bestandteile. Die Komplizenschaft mit Israel prägt die Geschichte der „politischsten“ aller Demokratien, wie Hannah Arendt es ausdrückte.
Die kleinen Monopolisten, wie Musk, haben gehandelt, weil das große Monopol sie nicht atmen lässt, aber sie sind seiner Logik völlig unterworfen. In Wirklichkeit handelt es sich um eine interne Auseinandersetzung innerhalb des amerikanischen Finanzkapitals: Die kleinen Monopolisten möchten die „animalischen Geister“ des Kapitalismus repräsentieren, die ihrer Meinung nach durch das Bündnis der Demokraten mit den großen Investmentfonds gebändigt werden. Sie propagieren einen futuristischen Faschismus (auch das ist nichts wirklich Neues, wenn man an den historischen Faschismus denkt, wo der Futurismus der Geschwindigkeit, des Krieges, der Maschinen mit der antiproletarischen und antibolschewistischen Gewalt harmonierte), einen Transhumanismus und ein Delirium, das noch oligarchischer und rassistischer ist als das der Finanzfonds. Diese kleinen Monopolisten sind sich mit den großen Monopolisten in der Tat einig, was die wichtigste Frage betrifft: das Privateigentum, d.h. das A und O der Strategie des Kapitals.
Ihr gemeinsames Programm ist es, alles zu finanzieren, und das heißt, alles zu privatisieren. Es stellt sich die Frage, wie dieser riesige Kuchen aufgeteilt werden soll. Um die Grenzen der progressiven Analyse zu verstehen, müssen wir uns kurz mit der Funktionsweise der monopolistischen Finanzialisierung befassen, die von den Investmentfonds nach 2008 durchgeführt wurde. Die Subprime-Krise war sektoral und die Spekulation konzentrierte sich auf den Immobiliensektor. Heute hingegen ist das Finanzwesen allgegenwärtig. Von Obama bis Biden haben die demokratischen Regierungen das Eindringen der Fonds in die gesamte Gesellschaft begleitet: Es gibt heute keinen Lebensbereich, der nicht finanzialisiert ist.
Finanzialisierung der Reproduktion: Es wird viel über die zentrale Bedeutung der Reproduktion in den Bewegungen gesprochen, aber mit einer abgrundtiefen Verspätung im Vergleich zur Aktion der Fonds, deren Voraussetzung die Zerstörung der Wohlfahrt ist. Die Demokraten haben alle vagen Ambitionen einer neuen Wohlfahrt aufgegeben und setzen alles auf die Privatisierung aller sozialen Dienste. Sie haben es offen theoretisiert: Die Demokratisierung der Finanzen muss zur Finanzialisierung der Mittelschicht führen. Die von den Demokraten in jeder Hinsicht geförderten Fonds würden eine sichere Geldanlage garantieren, so dass die Amerikaner, die die von den Fonds produzierten Wertpapiere kaufen, sich das Einkommen und die Dienstleistungen, die die Arbeit nicht mehr bietet, selbst garantieren müssten (diejenigen, die es sich leisten können, denn die Armen, die alleinstehenden Frauen und die große Mehrheit der Arbeitnehmer sind davon ausgeschlossen – aus einer kürzlich durchgeführten Umfrage ging hervor, dass 44 % der amerikanischen Familien nicht in der Lage sind, eine unerwartete Ausgabe von 1000 Dollar zu bewältigen).
Die Mittelschicht reicht für Kamala Harris bis zu einem Einkommen von 400.000 Dollar pro Jahr. Dies ist eine wichtige Zahl, um die soziale Zusammensetzung der Demokraten zu verstehen. Arbeiter und Angestellte sind völlig aus dem Blickfeld der Demokraten und der „Linken“ im Allgemeinen verschwunden. Das Wunder der Vermehrung von Brot und Fischen, das von der Finanzwelt wiederholt wurde und bereits 2008 gescheitert ist, wird nun erneut als Lösung für die „soziale Frage“ vorgeschlagen. Wir wiederholen: Es handelt sich um einen Prozess der Finanzialisierung der Wohlfahrt, denn Anleihen und Politiken sollen die vom Staat erbrachten Leistungen ersetzen. Wir können auch den italienischen Fall anführen: Angesichts der Nichtinvestition des Staates in das von der Klimakrise verwüstete Gebiet hat der Minister für Katastrophenschutz die Idee einer obligatorischen Hochwasserversicherung wieder aufgegriffen. Matteo Salvini intervenierte mit den Worten: „Der Staat kann Anweisungen geben, aber wir leben nicht in einem ethischen Staat, in dem der Staat uns etwas vorschreibt, verbietet oder verpflichtet“, und schlug stattdessen ein neues Gesetz vor, das die Arbeitnehmer dazu verpflichten sollte, einen Teil ihrer TFR (Abfindung) in Pensionsfonds zu investieren, um am Ende ihrer Laufbahn eine Zusatzrente zu erhalten. Offensichtlich ohne zu verstehen, in welcher Beziehung das zu den amerikanischen Fonds steht (Naivität oder Idiotie), denn in Wirklichkeit würden 70 % in den USA in Dollar umgewandelt.
Die Finanzialisierung macht die Unternehmen zu Finanzagenten. Und sie betrifft auch Unternehmen, die reale Gewinne erwirtschaften, die Mitarbeiter entlassen und deren riesige Dividenden nicht investiert, sondern größtenteils an die Aktionäre ausgeschüttet oder zum Kauf eigener Aktien verwendet werden, um ihren Wert zu steigern und ihre Kapitalisierung zu erhöhen (die in keinem Verhältnis mehr zu dem steht, was sie tatsächlich produzieren und verkaufen). All dies geht Hand in Hand mit der Finanzialisierung der Preise: Nicht der Markt (das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage nach Gütern) legt die Preise fest, sondern die Wetten der Marktteilnehmer (durch Derivate), die weder mit der Produktion noch mit dem realen Handel zu tun haben. Die Preise werden von finanzialisierten Unternehmen festgelegt, die den Energie-, Lebensmittel-, Rohstoff- und Pharmasektor usw. aus einer absoluten Monopol- oder Oligopolstellung heraus kontrollieren (die Hauptaktionäre dieser Unternehmen sind stets die großen Investmentfonds). Die Inflation, die in letzter Zeit ausgebrochen ist, ist das Ergebnis von Preisspekulationen und hängt in keiner Weise von Lohnerhöhungen oder Sozialausgaben ab. Die Kombination dieser Finanzierungen, die in das „Leben“ investieren (auch wenn der Begriff zweideutig ist), lässt die Einkommens- und vor allem die Vermögensunterschiede explodieren, deren Opfer die Arbeitnehmer und die gesamte Bevölkerung sind, die sich den Kauf von Aktien nicht leisten können.
Das Scheitern der neoliberalen Politik und der Krieg
Die Behauptung, dass das Monopol das Ende des Neoliberalismus und der Marktideologie einläutet, verdient daher einige Bemerkungen. Wir sprechen von Ideologie in Bezug auf den Wettbewerb, weil der Prozess der wirtschaftlichen Vertikalisierung mindestens seit dem späten 19. Jahrhundert unbeirrt fortgeführt worden ist und im Neoliberalismus, wie wir bereits erörtert haben, geradezu explodiert ist.
Die Fonds sind, wie bereits erwähnt, für die Zentralität der amerikanischen Macht funktional, mehr als jede andere Institution. Und die Fonds brauchen die Steuerpolitik der Regierung (keine Besteuerung der Finanzen und Schwächung des Faktors Arbeit), Regulierungen und Zugeständnisse, die großzügig von Obama (einem schwarzen Präsidenten, aber in perfekter Kontinuität mit dem weißen, der ihm vorausging und dem, der ihm folgte) und, noch entscheidender, von Biden gewährt wurden. Hier taucht ein theoretisches und politisches Problem auf: Das Finanzwesen, das die abstrakteste Form des Wertes und die vollkommene kosmopolitische Form des Kapitalismus darstellen sollte, wird im Westen von Apparaten beherrscht und verwaltet, die die gestreifte Flagge tragen. Die amerikanischen Fonds handeln im Einklang mit den US-Regierungen und verfolgen ihre Interessen zum Nachteil der ganzen Welt. Die Währung befindet sich in der gleichen Situation. So etwas wie eine supranationale Währung gibt es nicht, eine Währung ist immer national, denn sie ist eng mit der Politik des Staates verbunden, der sie in einem territorial begrenzten Rahmen ausgibt, insbesondere der Dollar. Man kann sagen, dass Geld und Finanzen die Tendenz, sich außerhalb der territorialen Grenzen von Staaten zu bewegen, und deren Unmöglichkeit darstellen. Die Beziehungen zwischen den USA und den Investmentfonds organisieren eine globale Aktion, die einige wenige Amerikaner und ihre Oligarchien begünstigt.
Die zweite Beobachtung betrifft die Lesart des Neoliberalismus, von dem man glaubt, dass er immer noch funktioniert, obwohl er in Wirklichkeit tot ist: getötet durch Faschismus, Kriege und Völkermord. Dasselbe Schicksal ereilte seinen illustren Vorgänger, den Liberalismus, der die kleinen Unannehmlichkeiten, die er verursachte (die beiden Weltkriege und den Nationalsozialismus), vermeiden sollte und sie stattdessen zwangsläufig reproduzierte. Ein Großteil dieser Analyse geht auf Michel Foucaults Theorie der Biopolitik zurück, die einen unheilvollen Einfluss auf das kritische Denken ausgeübt hat. Foucault versteht den Neoliberalismus als eine Theorie des Unternehmertums und seiner Subjektivierung als „Unternehmer seiner selbst“. Er erwähnt nie, nicht einmal en passant, den Kredit, das Geld und die Finanzen, auf denen die kapitalistische Strategie seit den späten 1960er Jahren aufgebaut ist. Das Hauptinstrument der Konterrevolution ist die „große Verschuldung des Staates, der Familien, der Unternehmen“, wie Paul Sweezy sagen würde, und nicht die Produktion. Das Unternehmen ist eine ordoliberale Ideologie und Idee, die dem industriellen Westen, den 1930er Jahren und der Nachkriegszeit angehört: eine definitiv tote Welt. Der Ordoliberalismus sieht die Wirtschaft als das, was den Tod des „Souveräns“ verursacht, wenn das Finanzwesen ein riesiges Monopol erlangt (der Wirtschaftssouverän). Im Rahmen des Industriekapitalismus ist dies jedoch nicht möglich, da dieser den politischen „Souverän“ (den Staat) braucht, um sich zu konstituieren und zu reproduzieren. Der Kopf des Souveräns wird nicht von der Wirtschaft abgeschnitten, sondern verdoppelt, wodurch die Zentralisierung der Macht des Kapitals und des Staates zu einer äußerst erfolgreichen Strategie wird.
Foucault hat einfach eine Epoche verwechselt, ebenso wie seine Schüler, die die Fehler des Meisters reproduzierten, z.B. vor allem Dardot und Laval. Der Markt hat nie so funktioniert, wie Foucault und die Ordoliberalen glaubten, nämlich auf der Grundlage des Wettbewerbs. Seine Wahrheit ist vielmehr das Funktionieren des Finanzwesens, das die Preise auf der Grundlage eines spekulativen Monopols festlegt und nichts mit der Nachfrage und dem Angebot an realen Gütern zu tun hat (in jüngster Zeit hat sich der Energiepreis verzehnfacht, ohne dass dies in irgendeiner Beziehung zu seiner realen Verfügbarkeit steht, dasselbe gilt für Getreide usw.). Die Subjektivierung wird nicht durch den Unternehmer repräsentiert, sondern durch die illusorische Verwandlung der Individuen (nicht aller, wie wir gesagt haben) in Finanzagenten. Für das Finanzwesen bestehen die „Bevölkerung“ und die Welt aus Gläubigern, Schuldnern und Anlegern in Aktien, Anleihen und Wertpapieren. Die Finanzialisierung der Mittelschicht, die durch das Abkommen zwischen den Demokraten und den Fonds vorangetrieben wird, ist die letzte Schimäre, die sich beim nächsten Crash in Luft auflösen wird.
Heute hat der Prozess, der von der Biopolitik nicht einmal angedeutet wurde, seinen Höhepunkt erreicht. Das Wachstum ist im Westen nur finanziell (während es im globalen Süden real ist). Seine Produktion (Geld, das Geld produziert, wie der „Birnbaum, der Birnen produziert“, sagte Marx) ist eine Fiktion, eine Erfindung aus Altpapier, die jedoch reale Auswirkungen hat. Die Fonds treiben die Kurse der Wertpapiere der Unternehmen, deren Aktien sie halten, in die Höhe, um Dividenden zu kassieren, die an die Zeichner ausgeschüttet werden. Dabei handelt es sich nicht um neuen Reichtum, sondern lediglich um die Aneignung, die Vereinnahmung und den Raub eines Wertes, der bereits existiert und lediglich vom Rest der Welt in die USA transferiert wird – unter Klassengesichtspunkten könnte man sagen, von der Arbeit zum Spekulationskapital. Wenn dieser „Diebstahl“ von im Rest der Welt produzierten Reichtum aufhört, bricht das ganze System zusammen.
Der richtige Name für diesen Prozess ist Miete. Sein Kreislauf wird durch die Dollarisierung garantiert und gesichert, weshalb die USA niemals eine multipolare Welt akzeptieren können. Sie sind zwangsläufig zum Unilateralismus gezwungen, sie sind gezwungen, ihre Verbündeten zu berauben, weil der globale Süden nicht länger als Kolonie fungieren will (eine Rolle, die vollständig von Europa, Japan und Australien übernommen wurde). Die Oligarchien, die den Westen beherrschen, sind das Ergebnis der Finanzialisierung und funktionieren genau wie die Aristokratie des „ancien régime“. Deshalb brauchen wir heute eine neue Nacht des 4. August 1789, in der die Privilegien der feudalen Aristokratie abgeschafft wurden.
Die USA befinden sich in einer Sackgasse: Sie sind gezwungen, die Zinssätze zu erhöhen, um Kapital aus der ganzen Welt anzulocken, weil sonst das Finanzsystem zusammenbricht, aber die Zinserhöhung selbst stranguliert die US-Wirtschaft. Wenn sie sie anheben, wie jetzt aus wahltaktischen Gründen (im Wahlkampf wurde den Demokraten sogar vorgeworfen, sie würden die Wirtschaft abwürgen), profitieren davon nur die Spekulanten (in erster Linie Fonds), die auf ihre Entwicklung setzen. So wie die große Liquidität, die der Wirtschaft von den Zentralbanken zur Verfügung gestellt wurde, nie in die reale Produktion geflossen ist, weil sie im Finanzsektor gestoppt wurde, so wird auch diese Zinssenkung keinen Einfluss auf die reale Wirtschaft haben, sondern nur die Spekulation aktivieren. Die USA sind nicht in der Lage, aus dem Teufelskreis der Annuitäten auszusteigen, daher ist Krieg die einzige Lösung seit 2008, als klar wurde, dass die US-Wirtschaft auf der Produktion und Verteilung von Finanzrenten basiert. Daher der Wille, den Krieg fortzusetzen und auszuweiten, den Völkermord weiter zu finanzieren und zu legitimieren, überall neue Faschismen an die Macht zu bringen. Dies scheint die nahe Zukunft zu sein, wie ein Dokument des US-Kongresses vom Juli dieses Jahres (Commission on the National Defence Strategy) bestätigt, in dem es unmissverständlich heißt, dass sich die USA auf den „großen Krieg“ gegen den globalen Süden vorbereiten müssen, in dessen Mittelpunkt Russland und China stehen. In den kommenden Jahren müssen alle Bereiche der Gesellschaft mobilisiert werden, nach dem Vorbild dessen, was vor und während des Zweiten Weltkriegs getan wurde, um die Bedrohung ihrer Existenz zu beseitigen, die seit 1945 noch nie so groß war.
Das erste Ziel besteht jedoch darin, eine (nicht mehr existierende) Industrie in eine Kriegsindustrie umzuwandeln: „Die Kommission ist der Ansicht, dass die Verteidigungsindustrie der USA (DIB) nicht in der Lage ist, den Bedarf der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten und Partner an Ausrüstung, Technologie und Munition zu decken. Ein länger andauernder Konflikt in mehreren Szenarien würde eine viel größere Kapazität zur Herstellung, Wartung und Nachschub von Waffen und Munition erfordern. Die Behebung dieses Defizits erfordert größere Investitionen, zusätzliche gemeinsame Produktions- und Entwicklungskapazitäten und in Zusammenarbeit mit den Verbündeten eine größere Flexibilität der Beschaffungssysteme. Erforderlich ist die Zusammenarbeit mit einer industriellen Basis, zu der nicht nur die großen traditionellen Rüstungsfirmen gehören, sondern auch neue Marktteilnehmer und ein breites Spektrum von Unternehmen, die in den Bereichen Unterauftragsproduktion, Cybersicherheit und Unterstützungsdienste tätig sind” [2].
Der Staat und die Verwaltungen müssen in Richtung dessen koordiniert werden, was in dem Dokument als „integrierte Abschreckung“ bezeichnet wird. Besondere Aufmerksamkeit muss den Arbeitskräften gewidmet werden, um sie für die Kriegswirtschaft umzuschulen, nachdem sie durch die Finanzialisierung und die anschließende Demontage der Industrialisierung demontiert worden waren. Die verschiedenen Abteilungen der Verwaltung müssen sich bei der Vorbereitung auf den Krieg koordinieren: „einschließlich des Außenministeriums und der US-Agentur für internationale Entwicklung (USAID), der Wirtschaftsabteilungen (einschließlich des Finanzministeriums, des Handels und der Small Business Administration) und derjenigen, die die Entwicklung eines wichtigen Teils der stärkeren und besser vorbereiteten US-Arbeitskräfte unterstützen, wie das Arbeits- und das Bildungsministerium. Wie zu Zeiten des Kalten Krieges müssen diese Abteilungen und Behörden einen strategischen Fokus auf den Wettbewerb legen, jetzt insbesondere auf China” [3].
Gemäß den Grundsätzen der Miete und der Oligarchie müssen die erforderlichen Großinvestitionen privat getätigt werden, um die Monopole mit Milliarden von Dollar zu überschwemmen. Es ist eindeutig von einem parteiübergreifenden „Aufruf zu den Waffen“ durch Demokraten und Republikaner die Rede, die eine Öffentlichkeit aufklären müssen, die sich der tödlichen Gefahr, in der sie sich befindet, nicht bewusst ist, und sie darauf vorbereiten müssen, die Kosten eines Weltkriegs zu tragen (es wird der enorme Prozentsatz des BIP angeführt, der im Kalten Krieg in Waffen investiert wurde). „Die US-Öffentlichkeit ist sich der Gefahren, denen die USA ausgesetzt sind, und der (finanziellen und sonstigen) Kosten, die für eine angemessene Vorbereitung erforderlich sind, weitgehend nicht bewusst. Sie sind sich weder der Stärke Chinas und seiner Partnerschaften bewusst, noch der Folgen, die ein Konflikt haben könnte. Sie sehen nicht voraus, dass die Stromversorgung, die Wasserversorgung oder der Zugang zu allen Gütern, auf die sie angewiesen sind, unterbrochen werden. Sie haben die Kosten nicht verinnerlicht, die entstehen, wenn die USA ihre Position als Weltsupermacht verlieren. Ein überparteilicher ‘Aufruf zu den Waffen’ ist dringend erforderlich, damit die USA die wichtigsten Veränderungen und Investitionen vornehmen können, anstatt auf das nächste Pearl Harbor oder den 11. September zu warten. Die Unterstützung und Entschlossenheit der amerikanischen Öffentlichkeit ist unerlässlich” [4].
Ernst Jünger hätte gesagt, dass sie sich auf eine „totale Mobilisierung“ vorbereiten. Sie haben jedoch ein kleines Problem, denn die Wirtschaft und der Reichtum, die sie durchgesetzt haben, sind für die Wenigen, während die Vielen verarmt, an den Rand gedrängt, prekär und für ihren Missstand verantwortlich gemacht wurden. Jetzt scheinen sie zu begreifen, dass sie die vielen brauchen, dass es „starke und ausgebildete“ Arbeitskräfte braucht, um die Nation und den nationalen Geist zu verteidigen … die Wirtschaft und den Besitz der wenigen. Mit einem Land, das so gespalten ist wie eh und je, können wir den Oligarchien, die für eine totale Mobilisierung für den Krieg werben, den sie gegen drei Viertel der Menschheit führen wollen, und den sie mit Sicherheit verlieren werden, so wie sie im Nahen Osten und in Osteuropa verlieren, nur viel Glück wünschen. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Anmerkungen
[1] Lesen Sie hier
[2] Kommission für die nationale Verteidigungsstrategie.
[3] Ebd.
[4] Ebd.
Erschienen am 3. Oktober 2024 auf Machina, ins Deutsche übersetzt in memoriam an Achim Szepanski von Bonustracks. Maurizio Lazzarato ist ehemaliger Militanter der italienischen Autonomia, der vor der Repression der 70er nach Frankreich flüchten musste und heute in Paris lebt.