[*CRA, Les centres de rétention administrative (Zentren für administrative Abschiebungen)]
In den Tagen nach dem Tod von M., der am 26. Mai starb, nachdem er von Polizisten geschlagen worden war, beschlossen die Insassen des Abschiebegefängnisses Vincennes, kollektiv zu kämpfen (Hungerstreik, Zusammenstöße mit den Bullen, Klagen…). Die besonders intensive Repression hat jedoch im Laufe der Tage die Mobilisierung im Inneren untergraben. Draußen versuchten Personen, diese Kämpfe sichtbar zu machen und zu unterstützen.
Freitag, den 26. Mai
Ein im Centre de rétention administrative (CRA) in Vincennes festgehaltener Mann wurde am frühen Morgen von seinem Zellengenossen tot aufgefunden. Er war am Vortag und am Tag davor von der Polizei verprügelt worden.
“Seit einer Woche war er krank und bat darum, ins Krankenhaus gehen zu dürfen. Die Sanitäter weigerten sich und sagten ihm nur, er solle Doliprane (ein leichtes Schmerzmittel, d.Ü..) nehmen. Hier ist es so. Du wirst nie gut versorgt. Um einen Arzt zu sehen, musst du schreien und in den Hungerstreik treten”, erklärt ein Insasse.
“Die Bullen haben ihn geschlagen und getreten. Sie haben ihn in Einzelhaft gesteckt und da weißt du, wie es läuft. Es gibt keine Kameras und die Bullen schlagen dich, schlagen dich…”, fährt er fort.
Die Polizisten brachten ihn dann am Donnerstag wieder in seinen Raum zurück. “Am Abend hatte er Schwierigkeiten zu atmen. Er sagte mir, dass er sterben würde. Er hatte Schwierigkeiten zu essen, weil sie ihm die Zähne ausgeschlagen hatten. Ich bin für ihn zur Krankenstation gegangen, aber sie haben sich nicht bewegt, sie wollten nicht zu ihm kommen. Ich kannte ihn seit einem Monat, wir kamen gut miteinander aus”, berichtet ein anderer CRA-Insasse.
Die Feuerwehr, deren Zugang zum CRA regelmäßig von den Bullen verhindert wird, schaffte es nicht, ihn wiederzubeleben. Die Polizisten nahmen seine Sachen und sein Handy und begannen zu erzählen, dass er an einer Überdosis gestorben sei. “Sie werden alles tun, um es so aussehen zu lassen, als ob sie es nicht gewesen wären. Aber wir wissen, was passiert ist”, erklärte ein anderer Internierter.
Die Nachricht von diesem Tod verbreitete sich schnell im gesamten CRA. Nach denen in Gebäude 1 traten auch die Abschiebehäftlinge in den Gebäuden 2A und 2B sofort in den Hungerstreik. Am späten Nachmittag kam es zu Zusammenstößen zwischen den Abschiebehäftlingen aus 2B und der Polizei. Mehrere Personen wurden von den Bullen verletzt, vier wurden in Einzelhaft gebracht und zwei beschlossen, sich selbst zu verstümmeln.
Draußen zirkulierte ab dem Zeitpunkt, als der Tod von M. bekannt wurde, ein Termin in den Netzwerken. Eine erste Unterstützungsversammlung vor dem CRA (was als ” parloir sauvage” bezeichnet wird) findet am Ende des Tages statt. Etwa 70 Personen schimpften gegen die CRA, die PAF (Grenzpolizei) und die Bullen und marschierten an den Gebäuden entlang, um den Eingeschlossenen Kraft zu verleihen. Auf der anderen Seite der Mauern und des Stacheldrahts wurde ebenfalls geschrien. Dann in der Nacht blühten Schriftzüge “Rache für M, getötet von den Bullen im CRA Vincennes”, “CRA Assassin”, “Vincennes – Plaisir, CRA in Flammen, Bullen mittendrin” auf den Mauern neben der CRA.
Am Samstag, den 27. Mai
In allen Gebäuden setzt ein Teil der Internierten den Hungerstreik fort. Sie verneinen die Version der Bullen und haben gemeinsam beschlossen, dafür zu kämpfen, dass der Tod von M. nicht unter den Teppich gekehrt wird. Es kommt zu starken Repressionen, die Bullen üben Druck auf einige der Festgehaltenen aus und führen allgemeine Durchsuchungen in den Gebäuden durch.
Ein Text, der anhand von Zeugenaussagen der Internierten erzählt, was am Vorabend und am Tag vor M.s Tod passiert ist, wird zusammen mit einem Aufruf zu einer Demonstration am Sonntag veröffentlicht. In der Nacht wurden die Wände um die S-Bahn-Station Joinville-le-Pont, von der aus man in das CRA Vincennes gelangt, aber auch die Straßen, die zum CRA führen, mit Slogans zur Unterstützung der Festgehaltenen geschmückt.
Sonntag, den 28. Mai
Die Internierten versuchen, gleichzeitig mit der Unterstützungsdemo zu demonstrieren, die in Joinville-le-Pont festgesetzt wird. Die Bullen gehen mit Gaspatronen und Schlagstöcken dagegen vor. Die Festgehaltenen, die es wagen zu sagen, dass die Bullen für den Tod von M. verantwortlich sind, werden verprügelt. So rief uns ein Internierter an und berichtete, dass ein Team von Wächtern, nachdem sie ihn gewürgt und getreten hatten, ihm drohten, nachts in seinen Raum zu kommen, wenn er weiterhin so etwas sagen würde. Ein anderer, dem die Polizisten vorwarfen, “schlecht mit ihnen zu reden”, wurde den zweiten Tag in Folge in Einzelhaft verprügelt. Einige Abschiebungshäftlinge weigern sich immer noch zu essen.
Zum Zeitpunkt des Treffpunkts für die Demonstration sind die Bullen natürlich vor Ort. Ein Transparent wird entrollt und ein Teil der Anwesenden beschließt, nach vorne zu gehen. Sie werden schnell blockiert und bleiben über drei Stunden lang eingepfercht, bevor sie ohne Identitätskontrolle hinausgehen können. Währenddessen werden Anrufe in den Telefonkabinen des CRA getätigt und über ein Megaphon abgespielt: Die Internierten erzählen, wie M. gestorben ist. Die Festgehaltenen demonstrierten auch im Hof, bevor sie von den Polizisten mit Schlagstöcken und Gas niedergeschlagen wurden. Rund um den Kessel diskutieren Menschen, Kontakte werden geknüpft. Trotz einer großen Verbreitung über soziale Netzwerke hält sich der Zulauf in Grenzen: insgesamt weniger als hundert Personen.
Montag, 29. und Dienstag, 30. Mai
Einige Festgehaltene befinden sich noch im Hungerstreik, aber die Bewegung schwächt sich ab. Mehrere Abschiebungshäftlinge haben beschlossen, dass sie wegen der erlittenen Gewalt gegen die Polizei klagen werden. Sie haben sich gemeinsam dazu entschlossen, stoßen aber auf zahlreiche Hindernisse. Die Polizisten verwehren ihnen den Zugang zum Arzt, die Krankenstation ist nicht entgegenkommend und Assfam (NGO zur rechtlichen Unterstützung von Internierten in Abschiebegewahrsamen, d.Ü.) unterstützt sie nicht… Und je mehr Zeit vergeht, desto mehr verblassen die Spuren der Schläge.
Die Polizisten sagen den Abschiebehäftlingen, dass sie Personen von außerhalb, die sie besuchen oder anrufen, um ihre Unterstützung zu bezeugen, nicht trauen sollen. Zu Beginn oder am Ende der Besuche versuchen sie herauszufinden, wer diese Personen sind.
Um den Pariser/innen, die auf dem Rückweg von einem dreitägigen Wochenende im Stau stecken geblieben sind, etwas zu lesen zu geben, hängt ein großes Transparent “Rache für M., der von den Bullen im CRA Vincennes getötet wurde – Solidarität mit den Revoltierenden” an der Brücke über der Autobahn, die am CRA vorbeiführt. Am Abend werden Feuerwerkskörper abgebrannt, was im Inneren zu schönen Jubelschreien führt.
Mittwoch, 31. Mai und Donnerstag, 1. Juni
Die Polizei führt gezielte Zellendurchsuchungen durch. Viele der Festgehaltenen haben Angst, was es schwierig macht, ein Kräfteverhältnis aufzubauen. Diejenigen, deren Räume immer noch durchsucht werden, werden weiter isoliert und stehen somit noch mehr im Visier der Bullen. Dasselbe gilt für diejenigen, die weiterhin eine Anzeige erstatten wollen.
Einige Festgehaltene weigern sich weiterhin, in die Kantine zu gehen. Die Situation im Gewahrsam bleibt angespannt. Die Abschiebehäftlinge berichten uns, dass die Bullen in großer Zahl anwesend sind und ständig Pfefferspray dabei haben.
Während des wilden Besuchs am Mittwoch (siehe unten) wollten die Abschiebehäftlinge in den Hof gehen, um zu demonstrieren, wurden aber von den Bullen daran gehindert und niedergeschlagen. “Wir konnten nichts tun. Letztes Mal haben sie uns alle mit Gas besprüht, wenn wir geschrien haben. Aber diese Demonstrationen geben einem Kraft”. Dasselbe in Gebäude 2B: Die Bullen hindern sie daran, die Räumlichkeiten zu verlassen.
Es wird eine öffentliche Versammlung auf einem Platz im 20. Bezirk von Paris angekündigt, um eine breite Mobilisierung gegen die CRA zu starten und um M. nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Der Termin für die Versammlung hat sich so gut herumgesprochen, dass Polizisten in Zivil anwesend sind. Es wird beschlossen, an einen anderen Ort umzuziehen. Etwa 60 Personen bereiten dort das Programm für die nächsten Tage vor. Motiviert machen sich etwa zwanzig von ihnen auf den Weg zum “wilden Sprechzimmer.” Die kleine Gruppe schreit und klopft gegen die Gitter des CRA 1, um ihre Solidarität mit den Eingeschlossenen zu zeigen. Im Gebäude versuchen die Festgehaltenen, in den Hof zu gelangen, aber sie werden von den Polizisten zurückgedrängt. Auch draußen sind die Bullen schnell in Massen präsent (mehr als 10 Wannen kommen in wenigen Minuten): Auf dem Rückweg treiben sie die Freund*innen erst an und dann gewaltsam zurück zur S-Bahn, wobei sie Transparent und Megaphon konfiszieren.
Freitag, 2. Juni
Ein Vorgesetzter lädt einen Festgehaltenen, der eine Anzeige erstatten wollte, vor, um ihm zu sagen, dass er dies nicht tun sollte. Der besteht darauf, ein ärztliches Attest zu erhalten, um die erlittene Gewalt zu beweisen. Der Beamte macht ein Foto von seinen Verletzungen, um ihm zu zeigen, dass es einen Beweis geben wird. Ein weiterer Mythos.
Sonntag, 4. bis Dienstag, 6. Juni
Etwa zehn Tage nach dem Tod von M. hat die Repression die Aufstandsbewegung vorerst besiegt. Einige Internierte leisten weiterhin Widerstand, sie organisierten eine kleine Demo im Hof, sangen und riefen Slogans. Aber es ist ruhiger geworden, zumal die Polizisten weiterhin diejenigen schikanieren, die nicht locker gelassen haben und Anzeige erstatten wollen. Es wird alles getan, um die Solidarität zu brechen.
Ein neuer Text wird veröffentlicht und ins Arabische übersetzt. Er wird verteilt und an die Wände in Barbès geklebt, wo die Demonstration zu Ehren von Clément Méric am Sonntag, den 4. Juni, beginnt. Anschließend werden auf der gesamten Demonstrationsroute Plakate geklebt und Flugblätter verteilt. Am Ende des Flugblattes wird ein Termin für denselben Tag angegeben, um erneut einen “wilden Sprechtag” durchzuführen. Etwa 50 Personen treffen sich dort und machen sich auf den Weg zum CRA, um erneut ihre Solidarität mit den Festgehaltenen zu zeigen und ihre Wut über den Tod von M. herauszuschreien.
Die letzte Demo gegen die Rentenreform am Dienstag, den 6. Juni, bietet die Gelegenheit, erneut zu werben und den Termin für eine weitere öffentliche Versammlung bekannt zu geben. Ein Transparent hängt an den Gittern des Val de Grace und auf der gesamten Strecke sind zahlreiche Tags gegen die CRA zu lesen. Auch in Saint-Etienne werden Tags zur Unterstützung der Revolte von Vincennes gesichtet und einige Tage zuvor wurde ein Banner über einer Umgehungsstraße in Caen entrollt.
Mittwoch, 07. Juni
Die Polizei “untersucht” den Tod von M. Vor einigen Tagen kamen Polizisten, um Fotos von der Zelle zu machen, die immer noch abgesperrt ist. Und am Mittwoch hörten Polizisten einige der Insassen an, die mit ihm die Zelle teilten. Sie stellten viele Fragen, wollten wissen, ob er Medikamente nahm, und schrieben alles auf ihren Computern auf. “Alle Leute, die seine Zelle teilten, wurden von den Ermittlern angehört und alle sagten das Gleiche: Vor seinem Tod haben die Bullen ihn getreten, am Vortag und am Tag davor.”
Die Sendung “carapatage” berichtet unter anderem über den Tod von M. und die Situation in Vincennes (https://carapatage.noblogs.org/carapatage-52-de-vincennes-a-mayotte-comment-les-cra-enferment-expulsent-et-tuent-07-06-23/).
Donnerstag, 8. bis Samstag, 10. Juni
In den letzten Tagen fanden mehrere Durchsuchungen statt und die Bullen konfiszierten Mobiltelefone, die gerade aufgeladen wurden, um Druck auf die Abschiebehäftlinge auszuüben. Diejenigen, die protestieren, werden direkt in Einzelhaft gesteckt. Eine Person verbrachte dort mehr als vier Stunden und wurde von fünf oder sechs Bullen verprügelt. Sie verbieten ihm, zum Arzt zu gehen, obwohl er glaubt, eine gebrochene Rippe zu haben. “In der Krankenstation haben sie mir gesagt, dass ich nichts habe und dass man nichts machen kann, wenn die Rippe gebrochen ist. Aber ich habe Schmerzen beim Atmen”.
Zweite öffentliche Versammlung, etwa 40 Personen anwesend.
Sonntag, den 11. Juni
Der Alltag in der CRA, der von Schikanen der Polizisten, dem Hin und Her in die Einzelhaft, den Streitereien zwischen den Abschiebehäftlingen usw. geprägt ist, scheint nach und nach die Bewegung auszulöschen, die es anlässlich von M.s Tod gab. “Einige Personen wurden freigelassen, neue kamen hinzu, andere sehen ihre Familie zu Besuch, was sie beruhigt, andere wollen keine Streitereien mehr mit den Polizisten, also geht es nach einer Weile weiter”, erklärt ein Abschiebehäftling. Aber nicht alle resignieren. Vor einigen Tagen hat ein Mann versucht, aus dem Gebäude 1 zu fliehen: “Er hat sich in Bettlaken und Handtücher gewickelt und um 2 Uhr morgens ist er über den Hof gelaufen, über den ersten Zaun geklettert und hat es geschafft, den Stacheldraht zu überwinden. Aber dann stand er vor dem zweiten Gitter und da haben sich die Bullen auf ihn gestürzt”, berichtet ein Zurückgehaltener.
Wie so oft in Zeiten des intensiven Kampfes im Inneren verlieren wir nach und nach einige unserer engsten Kontakte und erfahren von anderen, dass einige von ihnen “ausgeflippt” sind, sich mit Medikamenten vollpumpen und vom Trauma gelähmt sind.
Montag, 12. Juni
Wir verlieren nicht den Rhythmus .
Eine kleine Gruppe von etwa zwanzig Personen kehrt zu den Mauern des CRA Vincennes zurück, um Slogans zu rufen und sich mit den Festgehaltenen hinter Gittern auszutauschen.
Mittwoch, 14. Juni
Überraschungsbesuch in den Räumlichkeiten der Assfam im 9. Arrondissement von Paris, der im CRA Vincennes vertretenen Organisation, die bei der Bekanntgabe von M.s Tod kein Wort für ihn übrig hatte (außer, dass sie versucht hat, sich selbst zu verstecken…). Gewalt durch Polizei und Ärzte, ständige Schikanen, Rassismus… Die Assfam sieht nichts von all dem und prangert nie etwas an. Man muss dazu sagen, dass sie mehr als 5 Millionen Euro an Subventionen für ihre Präsenz in den CRAs erhält. Der Preis für ihre Komplizenschaft. Die Leute haben sie also mit Transparenten, Flugblättern, Plakaten und Slogans daran erinnert, dass sie Hand in Hand mit dem Staat arbeitet und an seiner Politik des Einsperrens mitwirkt (https://abaslescra.noblogs.org/au-centre-de-retention-administrative-cra-de-vincennes-la-police-tue-lassfam-ferme-les-yeux/).
Ohne den Kampf der Gefangenen im CRA Vincennes hätte niemand von diesem x-ten Todesfall in einem Ort der Gefangenschaft erfahren. Ihr Mut war immens, und mehrere Gefangene mussten teuer dafür bezahlen, dass sie es wagten, ihren Mund gegen die Polizeigewalt und gegen das gesamte System, das sie unterstützt (Präfekten, Hilfsorganisationen, Krankenstationen…), aufzureißen.
Wir haben unsererseits versucht, sie mit allen möglichen Mitteln zu unterstützen, um das Schweigen um M.s Tod zu brechen und weiterhin die ganze Scheiße, die täglich in den CRAs passiert, ans Licht zu bringen. Aber die Kämpfe, sowohl innerhalb als auch außerhalb, werden weitergehen: Nur so können wir den CRAs ein Ende setzen.
Die Kämpfe der Eingeschlossenen zu unterstützen ist auch eine Ameisenarbeit, die täglich geleistet wird, indem man Verbindungen nach innen herstellt und pflegt, indem man unsere Aktionen unter den Gefangenen bekannt macht, um ihnen vor allem in Momenten wie diesen Kraft zu geben. Wir erinnern daran, dass die Nummern der Telefonkabinen auf dem Blog zu finden sind, zögern Sie nicht anzurufen!
Wir sehen uns bald auf der Straße oder vor einem CRA für den nächsten “wilden Besuchsraum”.
Solidarität ist eine Waffe! Freiheit für alle, Feuer für die CRAs!
Übersetzt vom Blog À BAS LES CRA von Bonustracks.