Fabienne Messica
Am 7. Oktober wusste ich von nichts. Am 8. Oktober, konfrontiert mit dem Schrecken eines mörderischen Angriffs in Israel, abscheulicher und grausamer Verbrechen, die in Häusern und auf einer Party von Jugendlichen begangen wurden, fühlte ich mich, vielleicht zum ersten Mal, zutiefst jüdisch. Jüdisch, warum? Weil ich links bin, weil ich von meinen Mitstreitern, von denen ich weiß, dass sie mehrheitlich nicht antisemitisch sind, ein paar Worte erwartet habe und nicht diese Lähmung der Empathie, diese Unfähigkeit, sich mit unschuldigen Opfern solidarisch zu fühlen, als ob die Opfer schuldig wären, weil sie dort geboren wurden und im weiteren Sinne, weil sie mehrheitlich jüdisch sind.
Schuldige Opfer auf israelischer Seite und zwangsläufig gutherzige Opfer auf palästinensischer Seite, da sie die Unterdrückten sind. Nichts zu den Fakten. Keine Solidarität mit den Frauen, die beispielsweise Opfer von Vergewaltigungen wurden. Angeblich gibt es gute oder schlechte Opfer, wobei Opfer zu sein eine Wesensart ist, obwohl es sich einzig um eine bestimmte Konstellation handelt, nämlich die von israelischen Männern, Frauen und Kindern in dieser Situation.
Als ich die Erklärungen der NPA (Neue Antikapitalistische Partei), von Solidaires und der UJFP (Union de juifs Français pour la Paix) las und das Schweigen anderer Vereinigungen und Gruppen, mit denen ich so viel unternommen habe, registrierte, spürte ich diese Übelkeit, von der Jean-Paul Sartre und Camus, jeder auf seine Weise, sprachen. Denjenigen, die die Taten der Hamas unterstützen, weil “sie das Recht haben, ihre Mittel des Widerstands zu wählen”, antworte ich: Sie verachten nicht nur die internationale Solidarität, die ein freier Akt und kein Mitläufertum ist, sondern Sie verachten auch die Palästinenser, indem Sie davon ausgehen, dass sie alle mit diesen Taten einverstanden sind, und den Tätern die Verantwortung für ihre Taten absprechen. Sie nehmen ihnen die Freiheit, die jedem Unterdrückten bleibt, die Freiheit, die jeder Unterdrücker ihnen nehmen will.
Und später dann der Ekel vor der Holocaust-Leugnung, vor der Leugnung der Grausamkeit und der Schuldzuweisung an die israelische Armee für die Tötungen, eine Flut von Lügen, Hass und Antisemitismus. Ganz zu schweigen von der krankhaften Faszination für diese Taten, ganz zu schweigen von der gegenseitigen Nazifizierung der Palästinenser durch die Juden, der Israelis durch die Palästinenser und schließlich all der Kommentatoren und sogar der Humoristen, die sich in dieser abscheulichen Sprache suhlen und sogar die Beschneidung erwähnen, das Zeichen, an dem die Nazis Juden erkennen konnten, wenn diese nicht den gelben Stern trugen.
Am 10. Oktober fühlte ich mich als Palästinenserin. Die Palästinenser in Gaza sind nicht schuldig. Sie sind Zivilisten. Außerdem, aber das ist eine andere Geschichte: Ich träume schon so lange vom Frieden zwischen diesen Völkern, die sich so sehr ähneln und so viel gemeinsam haben, deren Tragödien sie so grausam füreinander machen können und bei denen gleichzeitig ein Lichtblick, eine Hoffnung ausreichen würde, um den Hass in den Herzen auszulöschen, die noch nicht so verhärtet sind wie die Herzen in meinem Land, Frankreich.
Dann folgte ein weiterer Ausbruch des Antisemitismus und der Versuch rassistischer und antisemitischer Parteien, unsere Geschichte – Juden und Jüdinnen unterschiedlicher Herkunft – zu vereinnahmen. Wie kann man es nicht verstehen? Das Exil steht im Zentrum unserer Geschichte in ihrer ganzen Vielfältigkeit, und wenn wir ein Volk sind, dann ist es ein Volk von Flüchtlingen. Das eine Heimat wollte. Auch. Das sich nicht in die Arme der extremen Rechten werfen kann, ohne zum Verräter an sich selbst zu werden.
Aber Sie haben mir meine Worte gestohlen. Ich habe keine mehr. Und ihr habt in Hiroshima mon amour [1] überhaupt nichts gesehen.
Fabienne Messica, Mitglied von Golem, einem Kollektiv linker Juden/Jüdinnen, Autorin von “Les pornographes du malheur” (Die Pornografen des Unglücks). Verlag Rue de Seine. Mai 2023.
[1] Hiroshima mon amour, Film von Alain Resnais aus dem Jahr 1959, Text von Marguerite Duras, veröffentlicht 1960, Gallimard Folio.
Veröffentlicht am 16. November 2023 auf Le Club de Mediapart, ins Deutsche übertragen von Bonustracks.