J Caballero
Ich bin jüdischer Abstammung. Na ja, vielleicht!
Meine Mutter wurde in einer jüdischen Familie in Algerien geboren, sie hatte keine religiöse Kultur mehr, aber wir haben immer Youm Kippur und Pessach gefeiert, um ihrer älteren Schwester, unserer zweiten Mutter, zur Seite zu stehen. Mein Vater war spanischer Abstammung.
Unsere Familie hatte am algerischen Befreiungskampf teilgenommen, weshalb wir extrem sensibel auf Kolonialpolitik reagierten. Wir haben die koloniale Gewalt am eigenen Leib erfahren.
Es ist daher sehr natürlich, dass wir den Kampf des palästinensischen Volkes unterstützt haben (Demo, Petition, Treffen…).
Wir dachten nie, dass Israel die Heimat der Juden sei. Einer meiner Onkel sagte immer: “Frankreich ist unser Land, nicht Israel”. Nur wenige Mitglieder meiner Familie leben dort. Dennoch war ich am 7. Oktober fassungslos. Palästinenser, die gegen die Kolonialmacht und für ihre Unabhängigkeit kämpften, töteten kaltblütig Menschen, die auf den ersten Blick nicht direkt an der israelischen Kolonialmaschinerie beteiligt waren. Ich weiß, dass es im Befreiungskampf zu schrecklichen Taten kommt, aber das habe ich nicht begriffen. Oder doch, von einer nationalistischen, faschistisch-religiösen Bewegung kann man nicht viel erwarten.
Und dann kam der rächende Gegenschlag des Kolonialstaates. Tausende Tonnen Bomben wurden wahllos auf Gaza geworfen, und es war egal, wer starb, denn die israelischen Regierenden hielten die Araber für ein Nichts und schon gar nicht für Menschen, wie es sich für gute Kolonialisten gehört. Das gleiche Lied wie in Algerien vor 68 Jahren.
Und dann kommt diese Demo gegen Antisemitismus, an der ich nicht teilnehmen werde, denn mit dem RN, Zemmour und Marion Le Pen ist das nicht möglich. Ich vergesse nicht die Abstammung dieser Partei, die aus der antisemitischen und rassistischen Herrschaft von Vichy hervorgegangen ist. Ich vergesse nicht die OAS, den Para Le Pen, Argoud, das Quartett der Generäle. Ich trete nicht einmal im Entferntesten mit ihren Erben in Kontakt. Wenn ich nur daran denke, wird mir übel.
Ich weiß, dass antisemitische Übergriffe zunehmen, aber es ist eine Illusion zu glauben, dass RN, LR, LREM die Verteidiger der Juden sind, das liegt einfach an der Epoche, die das gerade abverlangt. Man sagt mir, dass man sich die Teilnehmer einer Demonstration nicht aussuchen kann, na klar! Als wir gegen den Anschlag auf die Moschee in Bayonne marschiert sind, wurden wir beleidigt, weil Islamisten dabei waren. In diesem Fall musste man also die Teilnehmer auswählen.
Es ist immer die gleiche Geschichte. Wenn es in Frankreich um Araber geht, ist absolut nichts erlaubt.
Ich bin empört darüber, dass Juden in Frankreich beleidigt, angegriffen, vergewaltigt und ermordet werden, wie ich auch empört bin über die rassistischen Morde der französischen Polizei, die nie bestraft werden, und über die rassistische Gewalt gegen unsere arabischen und schwarzen Landsleute.
Ich bin nicht sehr optimistisch für die Zukunft, denn niemand scheint die derzeitigen oder zukünftigen Regierenden Israels zwingen zu wollen, sich mit Palästinensern wie Marwam Barghouti, der es verdient hat, aus dem Gefängnis entlassen zu werden, an einen Tisch zu setzen.
Und in unserem Land bereiten die Medien und Politiker die Ankunft von Marine vor und beleidigen die radikale Linke, die Grünen und sogar Faure wird verunglimpft.
Erschienen am 9. November 2023 auf Le Club de Mediapart, ins Deutsche übertragen von Bonustracks.
Anmerkung Bonustracks: An den landesweiten Demos in Frankreich “Gegen Antisemitimus” am 12.111.2023 beteiligten sich alleine in Paris um die 100.000 Menschen, prominente Vertreter der diversen Parteien, auch der extremen Rechten/ Faschisten nahmen teil. Linke jüdische Gruppen protestieren in mehreren Städten gegen die Anwesenheit der Rechten, in Paris versuchten sie den Block des RN (ehemals Front National) zu blockieren, am Ende gingen die Bullen gegen die linken jüdischen Demonstranten vor, um dem Block des RN den Weg frei zu machen (siehe eingebettetes Twitter Video).