„Don’t ya know
They’re talking about a revolution?
It sounds like a whisper
Don’t ya know
They’re talking about a revolution?
It sounds like a whisper“
Die Melodie des Abends kommt gegen 18 Uhr auf dem Place Kléber aus dem Mund eines unrasierten und verschmitzt lächelnden Gitarristen und füllt den Raum zwischen den sich langsam ansammelnden Menschen. In der nächsten halben Stunde vereinen sich die einzelnen Splitter und verschieden geformten Teile der Proteste gegen die Rentenreform zu einem einzigen Mosaik. Illuminiert durch entzündete Fackeln stehen sie als ein Körper, mit einem Herz und demselben, sich langsam aber beständig beschleunigenden Puls beisammen und warten auf die einsetzende Dunkelheit. Am Fußende werden Reden gehalten, an den Fingerspitzen schwingen unterschiedliche Fahnen im gleichen Rhythmus und im Bauch brodelt die Wut und singt und schreit sich in den dunkler werdenden Himmel. Ein betäubendes Gefühl und gerade, als man sich zu fragen beginnt, wohin diese ganze Energie entweichen soll, erhellt nach einem kurzen Zischen eine rote Pyrofackel den Platz. Der Kopf läutet unter wilden Beifall den Angriff auf die Ordnung und das Leben das wir nie wollten ein.
Schon in den ersten Gassen Richtung Place de la République, werden die Wände und Scheiben der verhassten Luxushöllen und Konsumentenbordellen zu den Billboards des kommenden Aufstandes.
Fäuste prallen auf metallenen Bauschutzwände und werden zum Donner des in den Straßen revoltierenden Sturmes. Brennenden Mülltonnen säumen in immer regelmäßigeren Abständen den Rand der Straße. Ein alter Mann mit Fackel blockiert stolz für Abertausende den Abendverkehr Straßburgs. Auf der Avenue des Vosges eignet sich der Frontblock umherstehende Zäune als tragbare Barrikade an. Der Fahrer eines durch die Demonstration zum stehen gekommenen Busses, lässt sich durch die auffordernden Gesten einer Gruppe migrantischer Jugendlicher dazu hinreißen, minutenlang und mit voller Inbrunst, das Horn seines Arbeitsplatzes ertönen zu lassen. Die aus den Hauseingängen gezerrten Mülltonnen werden an den Kreuzungen zu Freudenfeuern aufgebahrt.
Die Minuten auf dem Boulevard du Président-Wilson dienen primär dazu, kurz durchzuatmen und sich für den bevorstehenden Abschnitt hinter dem Gare Central zu rüsten. Am Hauptbahnhof angekommen füllt die Manifestation den Platz und noch während einige scherzhaft „Allez à la gare“ rufen, klackern die ersten Tränengaskartuschen des Abends über den Asphalt und hüllen die gläserne Fassade der Zughalle in beißenden Nebel. Ruhig und unbeeindruckt strömt die Masse zur Seite Richtung Innenstadt. Ein Mann ruft Richtung Bullen „Genau das ist 49,3“. Nur Minuten später zerbersten die Scheiben der Galerie Lafayette unter dem dröhnenden Jubel und dem Einsatz von Steinen und den Stangen überflüssig gewordener Verkehrszeichen. Ab diesem Moment wird kein Fenster jeder noch so kleinen Bankräumlichkeit ganz bleiben. Ebenso klirren die Scheiben von Reisebüros und Fitnesscentern entlang der Strecke, denn Niemand verspürt ein Verlangen danach aus diesem Moment zu fliehen und die Entschlossenheit des Körpers, der sich seinen Weg durch die Nacht bahnt, strahlt vor unendlicher Schönheit und bedarf keiner weiteren Optimierungen.
Das Rivetoile, Starbucks, McDonalds. Sie alle fallen dem Zorn der Menge zum Opfer. Hier und da tauchen eine Handvoll Bullenwagen auf und blockieren verzweifelt eine Brücke oder eine Straße, nur um an der nächsten Kreuzung auf schnell errichtete Barrikaden zu treffen, die ihnen das Vorankommen unmöglich machen und so müssen sie mit ansehen, wie die Menge immer wieder grinsend an ihnen vorüberzieht. Nach über drei Stunden beginnt sich die Masse allmählich zu schwinden. Der Kopf wird noch eine Weile weiterziehen und sich schließlich eine Stunde später unter Tränengasbeschuss ebenfalls auflösen.
Was morgen, übermorgen, in einer Woche und am Ende von all dem passieren wird, ob der Kampf gewonnen oder verloren und was auch immer das genau bedeuten wird, steht in den Sternen. Aber eines ist zu diesem Zeitpunkt gewiss. Die stummen Himmelskörper sind Zeugen unseres heutigen Sieges.
„’Cause finally the tables are starting to turn
Talkin’ ’bout a revolution
Yes, finally the tables are starting to turn
Talkin’ ’bout a revolution, oh no
Talkin’ ’bout a revolution, oh“
Dieser Text wurde bonustracks von einem Gefährten zugespielt.