Die Folgen des Bauernkriegs

Friedrich Engels

Mit dem Rückzuge Geismaiers auf venetianisches Gebiet hatte das letzte Nachspiel des Bauernkriegs sein Ende erreicht. Die Bauern waren überall wieder unter die Botmäßigkeit ihrer geistlichen, adligen oder patrizischen Herren gebracht; die Verträge, die hie und da mit ihnen abgeschlossen waren, wurden gebrochen, die bisherigen Lasten wurden vermehrt durch die enormen Brandschatzungen, die die Sieger den Besiegten auferlegten. Der großartigste Revolutionsversuch des deutschen Volks endete mit schmählicher Niederlage und momentan verdoppeltem Druck. 

Auf die Dauer jedoch verschlimmerte sich die Lage der Bauernklasse nicht durch die Unterdrückung des Aufstandes. Was Adel, Fürsten und Pfaffen aus ihnen jahraus, jahrein herausschlagen konnten, das wurde schon vor dem Krieg sicher herausgeschlagen; der deutsche Bauer von damals hatte dies mit dem modernen Proletarier gemein, daß sein Anteil an den Produkten seiner Arbeit sich auf das Minimum von Subsistenzmitteln beschränkte, das zu seinem Unterhalt und zur Fortpflanzung der Bauernrace erforderlich war. Im Durchschnitt war also hier nichts mehr zu nehmen. Manche wohlhabenderen Mittelbauern sind freilich ruiniert, eine Menge von Hörigen in die Leibeigenschaft hineingezwungen, ganze Striche Gemeindeländereien konfisziert, eine große Anzahl Bauern durch die Zerstörung ihrer Wohnungen und die Verwüstung ihrer Felder sowie durch die allgemeine Unordnung in die Vagabondage oder unter die Plebejer der Städte geworfen worden. 

Aber Kriege und Verwüstungen gehörten zu den alltäglichen Erscheinungen jener Zeit, und im allgemeinen stand die Bauernklasse eben zu tief für eine dauernde Verschlechterung ihrer Lage durch erhöhte Steuern. Die folgenden Religionskriege und endlich der Dreißigjährige Krieg mit seinen stets wiederholten, massenhaften Verwüstungen und Entvölkerungen haben die Bauern weit schwerer getroffen als der Bauernkrieg; namentlich der Dreißigjährige Krieg vernichtete den bedeutendsten Teil der im Ackerbau angewandten Produktivkräfte und brachte dadurch und durch die gleichzeitige Zerstörung vieler Städte die Bauern, Plebejer und ruinierten Bürger auf lange Zeit bis zum irischen Elend in seiner schlimmsten Form herab.

Wer an den Folgen des Bauernkriegs am meisten litt, war die Geistlichkeit. Ihre Klöster und Stifter waren verbrannt, ihre Kostbarkeiten geplündert, ins Ausland verkauft oder eingeschmolzen, ihre Vorräte waren verzehrt worden. Sie hatte überall am wenigsten Widerstand leisten können, und zu gleicher Zeit war die ganze Wucht des Volkshasses am schwersten auf sie gefallen. Die anderen Stände, Fürsten, Adel und Bürgerschaft, hatten sogar eine geheime Freude an der Not der verhassten Prälaten. Der Bauernkrieg hatte die Säkularisation der geistlichen Güter zugunsten der Bauern populär gemacht, die weltlichen Fürsten und zum Teil die Städte gaben sich daran, diese Säkularisation zu ihrem Besten durchzuführen, und bald waren in protestantischen Ländern die Besitzungen der Prälaten in den Händen der Fürsten oder der Ehrbarkeit. Aber auch die Herrschaft der geistlichen Fürsten war angetastet worden, und die weltlichen Fürsten verstanden es, den Volkshaß nach dieser Seite hin zu exploitieren. So haben wir gesehen, wie der Abt von Fulda vom Lehnsherrn zum Dienstmann Philipps von Hessen degradiert wurde. So zwang die Stadt Kempten den Fürstabt, ihr eine Reihe wertvoller Privilegien, die er in der Stadt besaß, für einen Spottpreis zu verkaufen.

Der Adel hatte ebenfalls bedeutend gelitten. Die meisten seiner Schlösser waren vernichtet, eine Anzahl der angesehensten Geschlechter war ruiniert und konnte nur im Fürstendienst eine Existenz finden. Seine Ohnmacht gegenüber den Bauern war konstatiert; er war überall geschlagen und zur Kapitulation gezwungen worden; nur die Heere der Fürsten hatten ihn gerettet. Er musste mehr und mehr seine Bedeutung als reichsunmittelbarer Stand verlieren und unter die Botmäßigkeit der Fürsten geraten.

Die Städte hatten im ganzen auch keinen Vorteil vom Bauernkrieg. Die Herrschaft der Ehrbarkeit wurde fast überall wieder befestigt; die Opposition der Bürgerschaft blieb für lange Zeit gebrochen. Der alte patrizische Schlendrian schleppte sich so, Handel und Industrie nach allen Seiten hin fesselnd, bis in die französische Revolution fort. Von den Fürsten wurden zudem die Städte verantwortlich gemacht für die momentanen Erfolge, die die bürgerliche oder plebejische Partei in ihrem Schoß während des Kampfes errungen hatte. Städte, die schon früher den Gebieten der Fürsten angehörten, wurden schwer gebrandschatzt, ihrer Privilegien beraubt und schutzlos unter die habgierige Willkür der Fürsten geknechtet (Frankenhausen, Arnstadt, Schmalkalden, Würzburg etc. etc.), Reichsstädte wurden fürstlichen Territorien einverleibt (z.B. Mühlhausen) oder doch in die moralische Abhängigkeit von angrenzenden Fürsten gebracht, wie viele fränkische Reichsstädte.

Wer unter diesen Umständen vom Ausgang des Bauernkriegs allein Vorteil zog, waren die Fürsten. Wir sahen schon gleich im Anfang unserer Darstellung, wie die mangelhafte industrielle, kommerzielle und agrikole Entwicklung Deutschlands alle Zentralisation der Deutschen zur Nation unmöglich machte, wie sie nur eine lokale und provinzielle Zentralisation zuließ und wie daher die Repräsentanten dieser Zentralisation innerhalb der Zersplitterung, die Fürsten, den einzigen Stand bildeten, dem jede Veränderung der bestehenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zugute kommen mußte. Der Entwicklungsgrad des damaligen Deutschlands war so niedrig und zu gleicher Zeit so ungleichförmig in den verschiedenen Provinzen, daß neben den weltlichen Fürstentümern noch geistliche Souveränitäten, städtische Republiken und souveräne Grafen und Barone bestehen konnten; aber sie drängte zu gleicher Zeit, wenn auch sehr langsam und matt, doch immer auf die provinzielle Zentralisation, d.h. auf die Unterordnung der übrigen Reichsstände unter die Fürsten hin. Daher konnten am Ende des Bauernkriegs nur die Fürsten gewonnen haben. So war es auch in der Tat. Sie gewannen nicht nur relativ, dadurch dass ihre Konkurrenten, die Geistlichkeit, der Adel, die Städte, geschwächt wurden; sie gewannen auch absolut, indem sie die spolia opima (Hauptbeute) von allen übrigen Ständen davontrugen. Die geistlichen Güter wurden zu ihrem Besten säkularisiert; ein Teil des Adels, halb oder ganz ruiniert, mußte sich nach und nach unter ihre Oberhoheit geben; die Brandschatzungsgelder der Städte und Bauernschaften flossen in ihren Fiskus, der obendrein durch die Beseitigung so vieler städtischen Privilegien weit freieren Spielraum für seine beliebten Finanzoperationen gewann.

Die Zersplitterung Deutschlands, deren Verschärfung und Konsolidierung das Hauptresultat des Bauernkriegs war, war auch zu gleicher Zeit die Ursache seines Misslingens.

Wir haben gesehen, wie Deutschland zersplittert war, nicht nur in zahllose unabhängige, einander fast total fremde Provinzen, sondern auch wie die Nation in jeder dieser Provinzen in eine vielfache Gliederung von Ständen und Ständefraktionen auseinanderfiel. Außer Fürsten und Pfaffen finden wir Adel und Bauern auf dem Land, Patrizier, Bürger und Plebejer in den Städten, lauter Stände, deren Interessen einander total fremd waren, wenn sie sich nicht durchkreuzten und zuwiderliefen. Über allen diesen komplizierten Interessen, obendrein, noch das des Kaisers und des Papstes. Wir haben gesehen, wie schwerfällig, unvollständig und je nach den Lokalitäten ungleichförmig diese verschiedenen Interessen sich schließlich in drei große Gruppen formierten; wie trotz dieser mühsamen Gruppierung jeder Stand gegen die der nationalen Entwicklung durch die Verhältnisse gegebene Richtung opponierte, seine Bewegung auf eigene Faust machte, dadurch nicht nur mit allen konservativen, sondern auch mit allen übrigen opponierenden Ständen in Kollision geriet und schließlich unterliegen mußte. So der Adel im Aufstand Sickingens, die Bauern im Bauernkrieg, die Bürger in ihrer gesamten zahmen Reformation. So kamen selbst Bauern und Plebejer in den meisten Gegenden Deutschlands nicht zur gemeinsamen Aktion und standen einander im Wege. Wir haben auch gesehn, aus welchen Ursachen diese Zersplitterung des Klassenkampfs und die damit gegebene vollständige Niederlage der revolutionären und halbe Niederlage der bürgerlichen Bewegung hervorging.

Wie die lokale und provinzielle Zersplitterung und die daraus notwendig hervorgehende lokale und provinzielle Borniertheit die ganze Bewegung ruinierte; wie weder die Bürger noch die Bauern, noch die Plebejer zu einem konzentrierten, nationalen Auftreten kamen; wie die Bauern z.B. in jeder Provinz auf eigne Faust agierten, den benachbarten insurgierten Bauern stets die Hülfe verweigerten und daher in einzelnen Gefechten nacheinander von Heeren aufgerieben wurden, die meist nicht dem zehnten Teil der insurgierten Gesamtmasse gleichkamen – das wird wohl aus der vorhergehenden Darstellung jedem klar sein. Die verschiedenen Waffenstillstände und Verträge der einzelnen Haufen mit ihren Gegnern konstituieren ebensoviel Akte des Verrats an der gemeinsamen Sache, und die einzig mögliche Gruppierung der verschiedenen Haufen nicht nach der größeren oder geringeren Gemeinsamkeit ihrer eigenen Aktion, sondern nach der Gemeinsamkeit des speziellen Gegners, dem sie erlagen, ist der schlagendste Beweis für den Grad der Fremdheit der Bauern verschiedener Provinzen gegeneinander.

Auch hier bietet sich die Analogie mit der Bewegung von 1848-50 wieder von selbst dar. Auch 1848 kollidierten die Interessen der oppositionellen Klassen untereinander, handelte jede für sich. Die Bourgeoisie, zu weit entwickelt, um sich den feudal-bürokratischen Absolutismus noch länger gefallen zu lassen, war doch noch nicht mächtig genug, die Ansprüche anderer Klassen den ihrigen sofort unterzuordnen. Das Proletariat, viel zu schwach, um auf ein rasches Überhüpfen der Bourgeoisperiode und auf seine eigene baldige Eroberung der Herrschaft rechnen zu können, hatte schon unter dem Absolutismus die Süßigkeiten des Bourgeoisregiments zu sehr kennengelernt und war überhaupt viel zu entwickelt, um auch nur für einen Moment in der Emanzipation der Bourgeoisie seine eigene Emanzipation zu sehen. Die Masse der Nation, Kleinbürger, Kleinbürgergenossen (Handwerker) und Bauern, wurde von ihrem zunächst noch natürlichen Alliierten, der Bourgeoisie, als schon zu revolutionär, und stellenweise vom Proletariat, als noch nicht avanciert genug, im Stich gelassen; unter sich wieder geteilt, kam auch sie zu nichts und opponierte rechts und links ihren Mitopponenten. Die Lokalborniertheit endlich kann 1525 unter den Bauern nicht größer gewesen sein, als sie unter den sämtlichen in der Bewegung beteiligten Klassen von 1848 war. Die hundert Lokalrevolutionen, die daran sich anknüpfenden hundert ebenso ungehindert durchgeführten Lokalreaktionen, die Aufrechthaltung der Kleinstaaterei etc. etc. sind Beweise, die wahrlich laut genug sprechen. Wer nach den beiden deutschen Revolutionen von 1525 und 1848 und ihren Resultaten noch von Föderativrepublik faseln kann, verdient nirgend anders hin als ins Narrenhaus.

Aber die beiden Revolutionen, die des sechzehnten Jahrhunderts und die von 1848-50, sind trotz aller Analogien doch sehr wesentlich voneinander verschieden. Die Revolution von 1848 beweist, wenn auch nichts für den Fortschritt Deutschlands, doch für den Fortschritt Europas.

Wer profitierte von der Revolution von 1525? Die Fürsten. – Wer profitierte von der Revolution von 1848? Die großen Fürsten, Österreich und Preußen. Hinter den kleinen Fürsten von 1525 standen, sie an sich kettend durch die Steuer, die kleinen Spießbürger, hinter den großen Fürsten von 1850, hinter Österreich und Preußen, sie rasch unterjochend durch die Staatsschuld, stehen die modernen großen Bourgeois. Und hinter den großen Bourgeois stehen die Proletarier.

Die Revolution von 1525 war eine deutsche Lokalangelegenheit. Engländer, Franzosen, Böhmen, Ungarn hatten ihre Bauernkriege schon durchgemacht, als die Deutschen den ihrigen machten. War schon Deutschland zersplittert, so war Europa es noch weit mehr. Die Revolution von 1848 war keine deutsche Lokalangelegenheit, sie war ein einzelnes Stück eines großen europäischen Ereignisses. Ihre treibenden Ursachen, während ihres ganzen Verlaufs, sind nicht auf den engen Raum eines einzelnen Landes, nicht einmal auf den eines Weltteils zusammengedrängt. Ja, die Länder, die der Schauplatz dieser Revolution waren, sind gerade am wenigsten bei ihrer Erzeugung beteiligt. Sie sind mehr oder weniger bewußt- und willenlose Rohstoffe, die umgemodelt werden im Verlauf einer Bewegung, an der jetzt die ganze Welt teilnimmt, einer Bewegung, die uns unter den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen allerdings nur als eine fremde Macht erscheinen kann, obwohl sie schließlich nur unsre eigne Bewegung ist. Die Revolution von 1848 bis 1850 kann daher nicht enden wie die von 1525.

Aus Friedrich Engels: Der deutsche Bauernkrieg, geschrieben im Sommer 1850. Erstmalig veröffentlicht in: ‘Neue Rheinische Zeitung’. Online hier. 

1983. Toni Negri, ein Subversiver im Parlament

Jaroslav Novak

Heute, am Tag der Trauerfeier auf dem Père Lachaise, erinnern wir an Toni Negri mit einem Text von Jaroslav Novak, einem Militanten von Potere operaio und einem der Hauptangeklagten des Prozesses vom “7. April”. 

Der Text erzählt unveröffentlichte Details von Toni Negris Entlassung aus dem Gefängnis im Jahr 1983, nachdem er auf der Liste der Radikalen Partei zum Abgeordneten gewählt worden war. (Vorwort Machina) 

* * *

Die Stille war unwirklich und schien fast eine physische Barriere gegen den Lärm und das Geschrei zu bilden, das zweifellos von der großen Gruppe von Faschisten ausging, die sich am Ende der Via Raffaele Majetti versammelt hatten, fast so, als wollten sie uns daran hindern, in diese Richtung zu gehen, aber sie wurden von einem ebenso großen Kordon von Carabinieri in Einsatzkleidung in Schach gehalten.

Auf der anderen Seite, wo die Via Maietti rechtwinklig in die Via Bartolo Longo einmündet, die wiederum in die Via Casal dei Pazzi mündet, die auf der einen Seite in Richtung Rom und auf der anderen Seite auf die Umgehungsstraße führt, verhinderte vom ersten Morgengrauen an ein Großaufgebot von Carabinieri die Annäherung. Ich selbst hatte Schwierigkeiten gehabt, obwohl ich schon seit Tagen eine Sondergenehmigung hatte. Aber als ich in meinem gelben Mini ankam, trauten die Carabinieri, denen ich den Passierschein zeigte, der mich zur Weiterfahrt berechtigte, ihren Augen nicht. Roberto und Sergio hatten sicherlich weniger Probleme, und zwar nicht so sehr wegen des Autos, sondern weil sie ihre Abgeordnetenausweise vorzeigen konnten.

Wir waren in Rebibbia, gleich hinter dem Haupteingang. Auch dort waren viele Carabinieri, aber kein einziges Wort. Die Spannung war sehr groß und wir alle drei waren von einem Gefühl der Nervosität durchdrungen. Sobald Negri den bürokratischen Papierkram erledigt hatte, der ihm aufgrund seiner Wahl zum Abgeordneten der Radikalen Partei die Freiheit bescherte, konnten wir Rebibbia verlassen, die Schlange der Carabinieri in der Via Majetti würde sich öffnen wie das berühmte Wasser des Roten Meeres und dann würde alles gut werden. Das kam uns wie eine Falle vor.

Also beschlossen alle, einen Anruf zu tätigen. Es gab noch keine Mobiltelefone, sondern nur ein bescheidenes Münztelefon. Ich rief die einzige Person an, die ich anrufen konnte, Rossana Rossanda, und erklärte ihr die Situation. Wahrscheinlich setzten sich Sergio Stanzani und Roberto Cicciomessere mit Pannella in Verbindung. Später erfuhr ich, dass Rossana Pertini direkt angerufen hatte. Diese beiden Anrufe müssen etwas bewirkt haben. Kurze Zeit später wurde ich von Manai, dem Kommandanten der Gefängniswärter, kontaktiert. Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu Manai gehabt. Er war ein kultivierter Mensch, intelligent, geschickt im Umgang mit schwierigen Situationen und als Kommandant der Wachen des wichtigsten Gefängnisses, das sich zudem in der Hauptstadt befand, sehr aufmerksam für die politische Dynamik. Er war es, der Restivo, den Gefängnisdirektor, davon überzeugt hatte, die berühmte “Delegation von Vertretern der Regenbogenpresse” zuzulassen, die ich erfunden hatte und in der ich der einzige “politische Gefangene” war.

Mit mir waren damals der berühmte Salvatore Buzzi, “prima maniera”, mit dem ich befreundet war, der Sohn von Tommaso Buscetta, der offenbar versucht hatte, seinen Vater bei einem Drogendeal zu erledigen (und den die Knastchroniken, von denen ich nicht weiß, wie zuverlässig sie sind, später zur Verstärkung des Betonpfeilers eines Viadukts heranziehen würden), einige Vertreter der berüchtigtsten römischen “Mafia” jener Zeit, die Familie Proietti und ein Mitglied der “Ndrangheta”, der mich um jeden Preis davon überzeugen wollte, dass er wegen eines Irrtums der Richter im Gefängnis saß, die nicht geglaubt hatten, dass es sich bei den von ihm telefonisch bestellten Krawatten wirklich um Krawatten und nicht um Drogenpakete handelte, wie diese boshaften Richter behaupteten. Und so weiter.

Eines Tages bat ich Manai um ein Gespräch, das er mir gewährte, und ich erklärte ihm kurz und bündig die Situation. Meine Genossen und ich stehen in einem Beziehungsnetz mit einigen kleineren Gruppen, den so genannten “combattenti” in anderen Gefängnissen, und wir wissen von einigen Situationen mit bedrohten oder militanten Personen, die von den Gruppen, denen sie angehören und für deren Aktivitäten sie im Gefängnis sind, wegkommen wollen. Ich wies sie darauf hin, und sie fanden einen Weg, sie nach Rebibbia zu verlegen, in diesen “homogenen Bereich”, der sich bereits gebildet hatte und zu dem einige gehörten, die sich noch nicht distanziert hatten, sondern ihren eigenen kritischen Weg begannen. So war es.

Nun kam Manai auf mich zu und sagte: “Ich möchte, dass Sie mit jemandem sprechen. Ich musste lachen, denn er hatte den gleichen Satz schon einmal gesagt und mich in ein Zimmer begleitet, in dem Valerio war. Aber das ist eine andere Geschichte. In diesem Fall war es nicht er, sondern Colonel Belmonte, zumindest sagte er, dass er so hieß, ein hohes Tier, zumindest von der Größe her, im Geheimdienst. Sergio und Roberto hatte man ausgespart. Mir ist klar”, sagte er, “dass Sie, und ich nehme an, auch Herr Negri (so nannte er ihn zu Recht), sich Sorgen machen, was auf dem Weg aus Rebibbia passiert. Ich kann es ihnen nicht verdenken. Seit Tagen läuft eine Kampagne von rechtsextremen Gruppen, die gegen die Wahl Negris zum Abgeordneten sind, und die Situation ist ziemlich heikel. Aber wenn Sie wollen, und Herr Negri ist damit einverstanden, können wir Ihnen jeden Schritt in äußerster Sicherheit garantieren”. Ich stellte mich dumm und verstand nicht, wer vor mir stand und fragte: “Wir wer”? Vielleicht hatte er die Frage nicht erwartet und vielleicht wäre es ihm lieber gewesen, wenn er sie nicht gestellt bekommen hätte, aber er antwortete mir, wenn auch mit halb zugekniffenen Mund: “Geheimdienste”. Ich verstand, dass Rossanda und, ich glaube, auch Pannella sofort gehandelt und die Frage nach unserer Sicherheit gestellt hatten. Ich antwortete also, dass ich persönlich kein Problem hätte, aber natürlich musste Negri seine Zustimmung geben. Es ging darum, eine Art ständige Kontrolle zu akzeptieren. Nach einiger Zeit kam Toni. Obwohl seit meiner Entlassung aus Rebibbia einige Zeit vergangen war, hatten wir immer Kontakt gehalten, vor allem während der Wahlkampfzeit. Mit Pannella und Giovanni Negri und ihrem Überschwang umzugehen, erwies sich als schwierige Aufgabe, und die Gespräche mit ihnen, die ich immer zusammen mit Rossana führte, endeten oft in heftigen Auseinandersetzungen.

Toni war sehr angespannt, zu Recht nervös und emotional erschöpft. Er war kurz davor, entlassen zu werden, wusste aber noch nicht, wie. In der Zwischenzeit hatte ich Roberto und Sergio von dem Gespräch mit ‘Belmonte’ in Kenntnis gesetzt und mir ihre Sorgen angehört. Das waren auch die meinen, aber wir hatten keine Lösungen. Ich persönlich war in diesem Moment etwas leichtsinnig geworden, ich hatte nichts geplant, ich hatte mir dieses Szenario nicht ausgemalt, ich wusste nur, was unser Ziel war. Ich redete, wir redeten mit Toni. Wir wechselten ein paar Worte, wir waren beide ein wenig benommen. Was in diesem Augenblick ein außerordentlicher Sieg gewesen war, wurde zu einem Moment der Unruhe und der Angst. Die Stille um uns herum war weiterhin ohrenbetäubend.

Ich teilte Belmonte mit, dass wir das Angebot angenommen hatten. Er gab mir eine Telefonnummer, die ich von nun an immer anrufen sollte, wenn Herr Negri seine Wohnung verließ. Wir mussten dann auf eine Bestätigung warten, dass man den Begleitservice organisiert hatte. Das geschah in der Regel nach ein paar Minuten. Ich war erstaunt über ihre Effizienz, sowohl an diesem Abend als auch bei anderen Gelegenheiten, wenn wir längere Fahrten vor uns hatten, wie zum Beispiel nach Neapel. Auf der Autobahn fiel mir mehrmals auf, dass wir während der Fahrt an stehenden Autos vorbeifuhren, die nach unserer Durchfahrt ansprangen. Die Begleitpersonen wechselten sich ab.

Mein gelber Mini blieb bei Rebibbia und wir fuhren mit dem Auto von Sergio und Roberto durch eine von ihnen angegebene Nebenausfahrt in Richtung Via Flaminia, wo Pasquale Squitieri und Claudia Cardinale in ihrer Villa auf uns warteten. Als wir ankamen, ließen uns Roberto und Sergio dort zurück, und Toni wurde endlich locker und machte zur Beruhigung einen großen Purzelbaum auf dem Rasen der Villa. Pasquale hatte einige Zeit mit uns in Rebibbia verbracht, für eine alte, verrückte Geschichte, die viele Jahre zurücklag, und ich hatte ihn für “il manifesto” interviewt. Kurz darauf hatte mich Manai gewarnt, dass eine Operation im Gange war, um ihn heimlich für eine Boulevardzeitschrift zu fotografieren. Ich warnte Pasquale, es gelang uns, diese Aktion zu verhindern, und von da an wurden wir Freunde. Als wir bei seinem Haus ankamen, und das passierte mir jedes Mal, bekam ich einen Kloß im Hals, sobald Claudia mit ihrer verrückten, sinnlichen Stimme sagte: “Hallo Jaro, wie geht es dir?” Nach einer Weile läuteten sie am Tor. Es war der Begleitservicewagen, der uns eskortiert hatte (wir hatten nichts bemerkt) und sich vergewisserte, dass alles in Ordnung war. Die Emotionen an diesem Abend kochten hoch. Toni war endlich frei. Die Zukunft ist, wie wir alle wissen, vollkommen ungeschrieben.

Als Toni dann beschloss, nach Frankreich zu gehen, in der Gewissheit, dass das Parlament sich für seine erneute Inhaftierung entscheiden würde, tauchte das Problem der Eskorte auf. Toni bat Scalfaro, den damaligen Innenminister, um ein Gespräch, um die Aufhebung der Eskorte zu beantragen, da er kein Problem mehr für seine Sicherheit sehen würde.

Scalfaro, als alter christdemokratischer Klugscheißer, ließ sich das nicht zweimal sagen. Die Vorstellung davon, was die Rückkehr Negris ins Gefängnis aus politischer Sicht bedeutet hätte, und die Proteste, die es gegeben hätte, mit wahrscheinlichen Zwischenfällen auf der Straße, veranlassten ihn, die Aufhebung der Eskorte sofort zu bewilligen, wohlwissend, dass Toni, wie er vermutet hatte, ins Ausland fliehen würde.

Jaroslav Novak, 26. Dezember 2023

Jaroslav Novak war ein Militanter von Potere operaio. Er war einer der Hauptangeklagten im Prozess bezüglich des ‘7. April’ und saß 2 Jahre und 9 Monate im Gefängnis, bevor er freigesprochen wurde.

Dieser Text erschien am 3. Januar 2024 auf Machina und wurde von Bonustracks in Deutsche übertragen.