Marco Baravalle
Toni Negri ist gestorben. Seine Verdienste als Intellektueller (die untrennbar mit denen als Kämpfer verbunden sind) sind zahlreich: die kollektive Schaffung des theoretischen Arsenals der Arbeiterbewegung; die Untersuchung der konstituierenden Macht; die “Entdeckung” der materialistischen Genealogie Machiavelli-Spinoza-Marx; die Thesen über Lenin; der Dialog mit Foucault, Guattari, Deleuze; die Analysen über das Imperium, die Multitude und das Gemeinschaftliche.
In diesen Analysen, unabhängig davon, ob man mit ihnen übereinstimmt oder nicht, findet sich eine Stärke, eine Hartnäckigkeit, eine Besessenheit, die den Revolutionären eigen ist. Mit seinen Betrachtungen war Toni immer dabei. Dort, wo es zu Unruhen kam, wo sich eine Versammlung oder eine Institution des Gemeinschaftlichen bildete, wo ein Ausdruck der konstituierenden Macht auftauchte, und natürlich dort, wo eine Revolution ausbrach. Niemals, weil er sie erklären müsste, schlimmer noch, sie den Protagonisten erklären wollte. Sondern immer, um sie voranzutreiben, um ihr Feuer zu verbreiten. Gegen die Autonomie des Politischen führte auch Negris Lenin nicht zur Avantgardepartei, er war vielmehr der historische Beweis dafür, dass der Kommunismus, ausgehend von der Marxschen Theorie, verkörpert werden konnte. Was Negri jedoch beschrieb, war ein paradoxer Körper, ein “Lenin der Versammlungen”, der einmal mehr jede Orthodoxie verdrängte.
Wo das Kapital und seine Gendarmen eine Wüste schufen, schwor Toni nicht auf Nostalgie, sondern riet, der Leere ins Auge zu sehen. So hatten sie in Italien die 1980er Jahre durchgestanden, die von Knast, Heroin und der Warenförmigkeit geprägt waren. Gleichzeitig hatte er aber immer die Annahme abgelehnt, dass das Leben bis zur vollständigen Blöße entkleidet werden kann. Das Leben, auf das Toni sein Augenmerk richtete, konnte unter allen Umständen rebellieren, Widerstand leisten, eine Fluchtlinie ziehen, sich kollektive Organisationsformen geben, selbst wenn es im Lager eingesperrt war, selbst wenn es zum Objekt der Nekropolitik gemacht wurde.
Von heute an stellt sich also die Frage nach dem Erbe Negris. Es ist ein komplexes Thema. Und es geht nicht darum, Toni zu einem Propheten zu machen, eine Figur, die er selbst als für immer verschwunden betrachtete. Es geht nicht nur darum, die Erinnerung an ihn wachzuhalten, sie möglichst von der biblischen Damnatio memoriae zu befreien, die immer noch schwer wiegt (und das ist ein gesamtitalienisches Problem). Vielmehr geht es darum, den intellektuellen Eigensinn nicht zu verlieren, der eines seiner Markenzeichen war, sich nicht anzupassen, sich nicht mit weniger als der Revolution zufrieden zu geben. Es ist klar, dass sich revolutionäres Denken in revolutionären Zeiten leichter herausbildet, aber das wichtigste Vermächtnis von Negri ist das, das uns auffordert, unter allen Umständen ein situiertes Denken zu pflegen. Nicht eines über Kämpfe, sondern immer eines in Kämpfen. Gott bewahre uns davor, dass Negri zu einem Museumsstück oder zu einem Kapitel in einem Lehrbuch wird, es sei denn, dieses Lehrbuch dient dazu, die neoliberale Akademie zu untergraben. Eine sehr gute Art und Weise, sein Andenken zu ehren, wäre die Wiederbelebung einer tiefgehenden Reflexion unter denjenigen, die sich einer bestimmten Geschichte und einer bestimmten theoretisch-politischen Haltung verbunden fühlen, nicht im Namen einer Rückkehr in die Vergangenheit (die ohnehin wenig Zukunft hätte), sondern mit dem Ehrgeiz, neue Wege, neue Perspektiven zu eröffnen und eine kollektive Maschine des gemeinschaftlichen Denkens wieder in Gang zu setzen.
Lassen Sie mich mit einer kurzen Anekdote schließen. Ich hatte das Glück, Toni vor einigen Monaten ein letztes Mal in Venedig zu treffen, wo er Judith Revel begleitete, die bei der IUAV ein Seminar gab. Körperlich bereits erschöpft, aber bei klarem Verstand, hatte er sich bereit erklärt, sich mit einer kleinen Gruppe junger Genossen zu treffen. Wir hatten vereinbart, dass die Dauer des Treffens eine halbe Stunde nicht überschreiten sollte. Nach mehr als zwei Stunden versetzte uns Toni mit seiner Erzählung immer noch in das Venedig der 1960er und 1970er Jahre. Wir standen zwischen den Gassen, Brücken, Tavernen und Versammlungen. Dann die Kämpfe, Streiks, Blockaden und die Geschichte der Autonomen Versammlung von Porto Marghera. Die verkörperte Erinnerung an einen Ort und ein Stück seiner rebellischen Geschichte. An diese Geschichte erinnere ich mich heute noch genau, ebenso wie an die Großzügigkeit dessen, der sie uns erzählt hat.
Marco Baravalle (Centri Sociali del Nord Est)
Erschienen auf Englisch am 16.12.2023 auf Global Project, ins Deutsche übertragen von Bonustracks.