Zehn Thesen zur Spirituellen Anarchie

1. “Das Geheimnis ist, wirklich anzufangen.” Anarchie ist ein Sprung ins Unbekannte, ins Leere, in die Unsicherheit und das Chaos. Sie liefert keine vorgefertigten Entwürfe oder Antworten, sondern eine andere Art, Fragen zu stellen: Was kann ich in dieser Situation tun, und wen kann ich noch um Hilfe bitten? Direktes Handeln und Magie sind das gleiche Prinzip.

2. Sich selbst als Anarchist zu bezeichnen, setzt nicht voraus, dass man einer Identität oder einer Ideologie anhängt. Es bedeutet, sich in eine uralte Ahnenreihe von anderen einzureihen, die sich schon früher so genannt haben, sowie von denen, die anarchisch gelebt haben, sich aber nicht Anarchisten nannten.

3. Anarchie, die schöne Idee, die Schwarze Flamme, ist ein Wesen und eine Kraft in der Welt, die sowohl außerhalb als auch innerhalb von uns existiert. Es gibt keine Trennung zwischen Zweck und Mittel. Die Anarchie ist hier und jetzt, nicht in der fernen Vergangenheit oder Zukunft oder an einem anderen Ort. Wir sind weder Deterministen noch Voluntaristen: Wir machen der Anarchie Angebote und Einladungen, ohne von ihr kontrolliert zu werden oder zu versuchen, sie zu kontrollieren.

4. Anarchie ist ein spiritueller Krieg mit den Mächten, Gedankenformen und Egregoren der Dominanz und Kontrolle. Wir greifen in diesem Krieg zu den Waffen und erkennen keine Trennung zwischen geistigem und materiellem Angriff an.

5. Wir ehren unsere Märtyrer und alle, die ihr Blut für die Anarchie vergossen haben. Unsere Fahne ist schwarz für die Trauer und den Tod, aber das ist so, weil wir unsere Entscheidung bekräftigen, an dem ewigen Prozess der Zerstörung – Kreation – teilzunehmen.

6. Anarchie ist eine Praxis der Freude im Angesicht des Todes, eine Freude, die die Welt neu gestalten wird, eine Freude, die aus der Erde aufsteigt und unserem Leben einen anderen Rhythmus aufprägt. Wir feiern die ekstatische Komponente, die in jedem revolutionären Akt steckt. Die Lebendigkeit und die Verzauberung der Welt gehen uns nicht verloren.

7. Anarchie ist eine Praxis der ständigen spirituellen Reinigung und Befreiung von den angestammten, gesellschaftlichen und persönlichen Ketten, die uns binden. Feuer reinigt. Zerstörung setzt gefangene Spirits und Energien frei und befreit sie, um neue Formen anzunehmen.

8. Wenn wir unsere alten Ketten abwerfen, lehnen wir es ab, in einem ewigen Zustand der Ablösung zu verharren. Wir weben neue Netze der Verbundenheit, des Engagements, der Solidarität und der gegenseitigen Hilfe sowie der nicht-biologischen Verwandtschaft.

9. Wir werden uns eines Tages unseren anarchistischen Vorfahren anschließen. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, werden die Art und Weise bestimmen, wie wir in der Zukunft von unseren Nachkommen in Erinnerung behalten werden. Wir kämpfen für die Kontinuität unserer Widerstandslinien und um die Kämpfe derer, die vor uns kamen, zu rächen.

10. Anarchie ist eine Initiation, eine Transformation, ein Werden. Wir schauen in den Spiegel, der es uns erlaubt, unser wahres Selbst zu sehen und ziehen die schwarze Maske an, die es uns erlaubt, unsere anarchistischen Vorfahren und die Anarchie selbst zu verkörpern.

Addendum: Die Nacht der anarchistischen Märtyrer, 11. November

Die Galeanisti begingen jedes Jahr drei Feiertage: den Jahrestag des Beginns der Pariser Kommune am 18. März, den 1. Mai und den Jahrestag der Haymarket-Hinrichtungen am 11. November. Einige von uns haben in den letzten vier Jahren den 11. November als Nacht der anarchistischen Märtyrer begangen, und wir schlagen vor, diese Tradition in der anarchistischen Galaxie wiederzubeleben. Versammelt euch mit Freunden, lest die Worte unserer anarchistischen Vorfahren, die für die Anarchie gestorben sind, aber noch wichtiger, die für sie gelebt haben, und bringt Opfergaben aus Feuer und Schönheit dar.

Erschienen im Oktober 2023 auf The Anarchist Library. Wie immer übersetzt und verbreitet Bonustracks vor allem Texte, die Irritationen und Erweiterungen des Immergleichen bedeuten, oder bedeuten könnten. Jenseits aller überspannten Wahrheitsansprüche.